Gedanken zum Ukraine-Krieg – Teil 5: Wir müssen diesen armen Menschen helfen

Im Grunde hätte ich wissen können, dass eine solche Begründung nie zutreffend ist, sondern immer nur verlogen mit den Gefühlen gutmütiger Menschen spielt. Gemäß dem Motto “Invite the world, invade the world” kann die Begründung für beides verwendet werden, und wird das auch – unter anderem natürlich auch im Ukraine-Krieg wo ein “invade” erklärt werden muss.

Der Denkfehler, den ich anfänglich gemacht habe, war der, dass ich die Benutzung ausschließlich mit westlichen Regierungen in Verbindung gebracht habe. Das war ein gewaltiger Irrtum. Tatsächlich ist der Hang zu moralischer Selbstbeweihräucherung bei der russischen Regierung sogar weit ausgeprägter und plumper als bei der amerikanischen oder unserer. Das kann ich nicht beweisen, weil dazu Einzelbeispiele nicht aussagekräftig sind, man müsste Hunderte bringen. Aber es ist ein Eindruck, der sich automatisch einstellt, wenn man jeden Tag Anti-Spiegel liest oder sich zwei oder drei Tacheles-Sendungen hintereinander ansieht. Früher oder später wird der Wunsch zu kotzen übermächtig, und man fängt an, sich darüber lustig zu machen, dass mit so grenzenloser Güte und Geduld nicht einmal der liebe Gott mithalten kann. Testet es selber aus und vertraut auf euer eigenes Gefühl!

Es funktioniert aber wahrscheinlich nur, wenn man sich das hochdosiert reinzieht, wie ich es getan habe. Wer überwiegend deutschen Mainstream liest und nur ab und zu russische Reaktionen auf westlichen Schwachsinn, merkt es vermutlich nicht, sondern freut sich sogar noch darüber. Natürlich stellen auch unsere Medien den Westen als die Guten dar, aber sie tun es weitaus subtiler.

Dass so eine Regierung zu der Begründung “Wir müssen diesen armen Menschen helfen” greift, liegt natürlich auf der Hand. Das Narrativ geht ungefähr so:

2014 gab es die Maidan-Farbenrevolution in der Ukraine, bei der die üblichen Verdächtigen die Finger im Spiel hatten. Und ja, das stimmt. Infolgedessen wurde der bis dahin amtierende prorussische Präsident gestürzt und durch einen prowestlichen Präsidenten ersetzt. Teile der ukrainischen Bevölkerung fanden das nicht gut und haben dagegen demonstriert, dabei handelte es sich vor allem um russischsprachige Ukrainer aus den östlichen Landesteilen. Auch das dürfte der Wahrheit entsprechen und wirkt auch vollkommen glaubwürdig und nicht übermäßig spektakulär. Daraufhin ist die Regierung in Kiew zu der Auffassung gelangt, bei russischsprachigen Menschen handele es sich um “Untermenschen”, die man mindestens unterdrücken, besser aber noch alle in einem Genozid umbringen muss.

Und da wird es ein bisschen unglaubwürdig. Eventuelle Einwände werden jedoch dadurch entkräftet, dass es sich bei der ukrainischen Regierung um ein Nazi-Regime handelt, und dass doch jedes Kind weiß, dass Nazis solche Sachen machen, sonst wären sie ja keine Nazis. Dass es sich beim ukrainischen Präsidenten um einen Juden handelt, stört dabei nicht, denn wenn dieser Mann irgendwelche Nazi-Sachen nicht machen will, treten die Nazis einfach die Tür des Präsidentenpalasts ein und zwingen ihn dazu. Hier ist ungefähr ab Minute 10 die Originalaussage, kommentiert vom Volkslehrer: “Und die Leute glauben das!”

Zu diesem Nazi-Zweck hat die ukrainische Nazi-Armee dann acht Jahre lang die entsprechenden Regionen beschossen, bevorzugt Kindergärten und Schulen. Daraufhin haben die Männer der Region zur Verteidigung ihrer Familien eine Rebellenarmee gegründet. Wie genau sie das bewerkstelligt haben, wird meist nicht näher ausgeführt.

Aber das geht nicht! Genauso wenig wie die echten Maidan-Demonstranten, die es wirklich gab, jemals in der Lage gewesen wären, den Präsidenten zu stürzen, wären die echten Anti-Maidan-Demonstranten, die es auch wirklich gab, jemals in der Lage gewesen, eine Rebellenarmee zu gründen, die es acht Jahre lang mit einer richtigen Armee aufnehmen kann.

Das war natürlich sehr verkürzt und auch etwas sarkastisch. Aber für den Zweck hier muss es genügen und ich glaube auch nicht, dass diejenigen, die ständig mit dieser Begründung kommen, viel mehr wissen. Meist beschränkt sich ihre Argumentation auf Aussagen wie “Der Krieg hat 2014 angefangen, du Idiot.”

Mir geht es in dieser Artikelserie zwar um die Begründungen für die Aktion ab Februar 2022, die ja keinesfalls zwangsläufig erfolgen musste. Aber sehen wir Idioten uns das doch trotzdem mal genauer an.

Ich hatte mich vorher nur sehr am Rande mit diesen Ereignissen befasst, aber mir war vollkommen klar, dass diese Rebellen intensive Unterstützung aus dem Ausland haben mussten. Ich wäre nicht einmal auf die Idee gekommen, dass irgendjemand behaupten könnte, die hätten das alles ganz allein gemacht. Und welches Ausland sich da beteiligt hat, war eigentlich auch keine Frage. Als allerdings Robert Stein, der das offenbar auch so gesehen hatte, das mal in einer Tacheles-Sendung erwähnt hat, wurde er von Thomas Röper belehrt, nein, Russland habe da überhaupt nicht eingegriffen. Dass da russische Soldaten gewesen wären, sei westliche Hetzpropaganda und durch nichts belegt. Okay, habe ich zunächst gedacht, Soldaten waren da ja vielleicht wirklich keine – das stimmt jedoch auch nicht – aber die Kriegswaffen kann man doch nicht im Supermarkt kaufen. Das hat Robert Stein offenbar auch nicht glauben können. Auf seine diesbezügliche Frage kam zur Antwort, es seien viele ukrainische Soldaten zu den Rebellen übergelaufen und hätten die Waffen einfach mitgenommen.

Da habe ich zum ersten Mal gedacht: “Für wie blöd hältst du uns eigentlich?” Kriegswaffen passen doch nicht ins Handgepäck und selbst wenn da ganze Kasernenbesatzungen mit vollen LKWS übergelaufen sein sollten, ist doch der Vorrat an Waffen irgendwann weg. Ich möchte nicht Dutzende von zweistündigen Sendungen durchsuchen, um diese Aussage wieder zu finden, und hoffe auf euer Verständnis. Wer es nicht glauben möchte, hat eben gar keine Erklärung dafür, wo die Waffen herkamen. Das ist dann auch nicht anders.

Daraufhin habe ich mir dann doch einfach mal die “westliche Hetzpropaganda” angesehen. Warum eigentlich nicht? Ich habe mich einfach an den Ratschlag erinnert, sich immer beide Seiten anzusehen. Wo steht geschrieben, dass es mir verboten ist, westlichen Mainstream zu lesen und womöglich sogar noch zu glauben? Und doch fühle ich mich auf merkwürdige Weise verpflichtet, mich dafür zu entschuldigen, dass ich die vollkommen bescheuerte und unrealistische Version nicht glaube, die im russischen Propaganda-Universum vorherrscht. Was hat sich denn da in meinen Kopf eingeschlichen??? Was auch immer das ist – nichts wie weg damit!

Der Wikipedia-Artikel zu dem Thema ist sehr ausführlich, nicht reißerisch, ohne erkennbare Ungereimtheiten und wirkt vollkommen realitätsnah. Ich habe dann aber doch auch noch die russische Version angeklickt – immer beide Seiten. Die Maschinenübersetzung hat meinen Laptop bestimmt eine Minute oder länger eingefroren, ich dachte schon, ich muss ihn ausschalten. Während die deutsche Version, die ich schon als sehr umfangreich empfunden habe, 5.000 Wörter umfasst, sind es in der russischen Version 30.000 Wörter plus Link zum “Hauptartikel der Chronologie des Krieges im Donbass” mit weiteren 54.000 Wörtern. Tut mir leid, das lese ich nicht. Das war jedoch nicht das letzte Mal, dass sich das Gefühl breitmachte, von einer Dampfwalze überrollt zu werden.

Aber es steht natürlich jedem frei, das komplett durchzulesen, um abschließend zu klären, ob die Begründung berechtigt ist oder nicht. Und bitte auch die insgesamt knapp tausend Fußnoten überprüfen! Wenn es jemand machen möchte, würde ich mich über einen Bericht im Kommentarbereich sehr freuen und gegebenenfalls auch meine Ansicht ändern. Vorerst aber nicht!

Seht euch vielleicht lieber den deutschen Artikel an und schätzt ein, ob das eine realitätsnahe Schilderung von Ereignissen ist oder nicht. Eine andere Möglichkeit, als auf unser inneres Gefühl zu hören, was wahr klingt und was bescheuert klingt, haben wir nicht, und hatten wir fast noch nie. Es gibt nur wenige Fälle, wo man physikalische Widerlegungen hat wie bei 9/11. Und war es nicht genau dieses Gefühl, mit einer komplett unglaubwürdigen Story verarscht zu werden, das uns ursprünglich vom Mainstream wegtrieben hat? Bei mir war es definitiv so. Ich bin nicht zur “Verschwörungstheoretikerin” geworden, weil ich plötzlich einen grundlosen Hass auf den westlichen Mainstream entwickelt habe. Das ist geschehen, weil sich dieses Gefühl gemeldet hat, dass etwas nicht stimmen kann. Und dieses Gefühl hat sich hier nicht gemeldet, im Gegenteil: Das hat sich für mich alles sinnvoll angehört. Das, was von Thomas Röper kam und was der Begründung “Wir müssen diesen armen Menschen helfen” zugrunde liegt, war eine Beleidigung meiner Intelligenz.

Der Krieg hat in der Tat bereits 2014 angefangen, aber nicht damit, dass die ukrainische Armee völlig grundlos ihre eigene Bevölkerung beschossen hat, während die russische Regierung diesem Bürgerkrieg mit tatenlosem Entsetzen acht Jahre lang zugeschaut hat, bis ihr endlich der Kragen geplatzt ist. Ich bin nicht sicher, ob das tatsächlich die offizielle Version ist, die in Russland verbreitet wird, wie gesagt, das wird wohl eher die aus dem langen Wikipedia-Artikel sein, also schon auch ein bisschen komplexer. Aber diese Kurzversion ist das, was uns im deutschsprachigen Raum üblicherweise begegnet, und was einfach nicht stimmen kann.

Es ist richtig, dass der Maidan-Umsturz durch das Eingreifen ausländischer Geheimdienste ermöglicht wurde und damit ein feindseliger Akt war. Ich kann auch nachvollziehen, dass Bürger dagegen demonstriert haben. Aber die prorussische Regierung davor war korrupt und die prowestliche Regierung danach war auch korrupt. So groß, dass das einen hässlichen Bürgerkrieg rechtfertigt, war der Unterschied wahrlich nicht. Man kann auch mal etwas hinnehmen, das nicht ganz rechtens ist! Hier möchte ich auch auf Teil 3 verweisen: Wer Krieg (oder Bürgerkrieg) vermeiden will, muss immer auf Verteidigung verzichten, weil niemand in der Selbstwahrnehmung der Angreifer ist. Diese Möglichkeit kommt aber in diesem Narrativ überhaupt nicht vor.

Tatsächlich waren die meisten von uns vollkommen überrascht vom Kriegsbeginn, übrigens auch Thomas Röper, der in den letzten Sendungen vor dem 24. Februar immer wieder gesagt hat, dass er nicht mit einer Invasion rechnet. Und das nehme ich ihm auch ab. Er ist zwar kremltreu, aber er ist natürlich kein Geheimnisträger, der über die Invasionspläne in Kenntnis gesetzt wurde. Damals gab es auch Berichte, dass zumindest teilweise nicht einmal die Soldaten, die in die Ukraine kamen, wussten, wo sie hinfahren, bis sie dann dort waren:

Den Schilderungen seiner Mutter zufolge leistete Pavel im Osten Russlands seinen einjährigen Wehrdienst ab und wurde kurz vor dem Ende der Zeit “freiwillig-zwanghaft” verpflichtet, einen Vertrag als Zeitsoldat zu unterschreiben. Anfang des Jahres wurde er erst zurück in den Westen Russlands und dann nach Belarus geschickt – für eine “Sonderoperation”, wie es hieß.

Hier haben wir auch den Ursprung und möglicherweise sogar den Grund für diese Sprachregelung.

Da machten zwar bereits Mutmaßungen über einen bevorstehenden Krieg Russlands gegen die Ukraine die Runde. Doch Pavels Mutter tat sie als “westliche Propaganda” ab und glaubte ihnen nicht.

Ja, liebe Frau, wir auch nicht!

Am Abend des 23. Februar telefonierte sie mit Pavel. “An seinem Zustand erkannte ich, dass alle dort unter Schock, Erschöpfung und Tränen standen”, erzählte sie der “Nowaja Gazeta”. Den jungen Soldaten wurde gesagt, dass sie nicht abreisen dürften, weil sie sonst als Deserteure gelten würden. “Mama, wir wurden betrogen!”, rief ihr Sohn am Telefon.

Natürlich steht bei diesem Bericht dabei, dass die Meldung von Deutschland aus nicht überprüft werden konnte. Aber das steht eigentlich immer bei allem dabei. Und das ist ja auch wahr! Wer im Gegensatz zu dieser bedauernswerten Mutter, die hoffentlich mittlerweile ihren Sohn wieder in die Arme schließen kann, und uns tatsächlich gewusst hat, dass eine Invasion bevorsteht, waren unsere Sheeple, genauer gesagt die Spiegel-Leser: Man fürchte einen russischen Angriff am kommenden Mittwoch, war die Meldung vom 11. Februar, die sich auf dringliche Warnungen von US-Geheimdiensten berief. Ich erinnere mich noch daran, dass ich die Augen verdreht habe. Der betreffende Mittwoch war der 16. Februar und als der ohne Kriegsbeginn verstrichen ist, war alles klar. Maria Sacharowa, die Sprecherin des russischen Außenministeriums, meldete sich an besagtem Mittwoch mit einer ungewöhnlichen Stellungnahme auf ihrem Telegram-Kanal zu Wort:

„Ich möchte der amerikanischen und britischen Desinformation – Blättern wie Bloomberg, The New York Times und The Sun – nahelegen, einen Terminplan für unsere im laufenden Jahr anstehenden Invasionen zu veröffentlichen. Denn ich möchte meine Ferien planen.“

Es war eine Woche später, aber das ist unwesentlich. Man kann jetzt rätseln, ob Maria Sacharowa ein dreistes Miststück ist oder ob sie tatsächlich auch nicht informiert war. Ich weiß es wirklich nicht und es ist auch egal. Mich hat diese Begebenheit und meine eigene Reaktion nachhaltig beeindruckt und vor allem demütiger gemacht, deshalb möchte ich sie mit Euch teilen. Ja, die Sheeple sind Dummköpfe, aber wir müssen aufpassen, nicht hochnäsig zu werden! Der westliche Mainstream hat nicht immer Unrecht. So einfach ist es leider nicht! Wir müssen uns die verschiedenen Versionen in jedem Fall einzeln ansehen und entscheiden, was unserem inneren Gefühl für Wahrheit entspricht und was es verletzt. Und bei den Ereignissen im Donbass zwischen 2014 und 2022 habe ich mich entschieden.

Ich habe versucht, mir anhand einer Analogie vorzustellen, was da vor sich gegangen ist. Es gibt keine, die vollkommen passt. Aber ungefähr habe ich überlegt, wie das wäre, wenn Bundeswehrsoldaten im Elsass eine Rebellenarmee aufbauen und mit Waffen ausstatten würden. Es gibt wahrlich Gründe genug, aus denen man Macron ablehnen kann. Er kommt von der Rothschild-Bank und ist Young Global Leader des WEF. Außerdem sind sehr viele Elsässer Deutsche, was man an ihren Familiennamen erkennen kann, aber Französisch ist die einzige Amtssprache. Im Jahr 2030 und 15.000 tote Franzosen später könnten wir dann offiziell einmarschieren und behaupten, wir hätten die Feindseligkeiten nicht begonnen, sondern würden nur versuchen, sie zu beenden. Ich will das nicht und ich finde das auch nicht anständig.

Ich habe übrigens auch Ukrainian Agony gesehen. Der Film ist schon berührend ich bestreite auch überhaupt nicht, dass die acht Jahre nach 2014 für die Menschen im Donbass sehr schwer und schmerzlich waren. Ich glaube allerdings nicht, dass die letzten 12 Monate angenehmer waren – sehr vorsichtig ausgedrückt. Außerdem sind das nicht die einzigen Menschen auf der Welt, und erst recht nicht die einzigen, für deren Leben und Wohlbefinden die russische Regierung Verantwortung trägt.

Zum Beispiel trägt sie meiner Ansicht nach sehr viel mehr Verantwortung für den freundlichen jungen Mann aus dem folgenden Videoausschnitt. Ich habe nämlich über den Wikipedia-Artikel hinaus noch eine Kleinigkeit zu den russischen Soldaten, die vor 2022 angeblich NICHT in der Ukraine waren. Seine etwas verstörend wirkende „offizielle Ansprache“, dass es überhaupt nicht beängstigend sei, nehme ich ihm nicht ab, und mir sind am Ende die Tränen gekommen. Aber dass er 2014 und 2017 dort war, glaube ich ihm.

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