Der Begriff “goldene Milliarde” ist mir erstmals bei Thomas Röper aufgefallen. Bis dahin hatte ich ihn noch nie gehört, aber aus dem Kontext wurde recht schnell klar, was damit gemeint ist:
Wir!
Genauer gesagt bezeichnet der Begriff die Einwohner der wohlhabendsten und sichersten Länder der Welt, die ganz grob ungefähr eine Milliarde Menschen ausmachen. Es gibt keine offiziell feststehende Definition, wer dazu gehört und wer nicht, aber es ist relativ klar. Die Abgrenzung verläuft weitgehend, aber nicht exakt an rassischen Kriterien: Weiße Länder in Europa, Nordamerika und Australien, doch auch Japan und Südkorea werden hinzugerechnet, definitiv aber nicht Russland. Dort wurde der Begriff geprägt, wahrscheinlich in den 1970er Jahren nach dem Erscheinen der Schrift “Grenzen des Wachstums” vom Club of Rome. Diese Schrift wurde von den Sowjets dahingehend aufgefasst bzw. propagandistisch aufgegriffen, dass “westliche Eliten” alle Menschen außer uns – die goldene Milliarde – in bitterer Armut halten wollen, damit die begrenzten Ressourcen für unser verschwenderisches Luxusleben reichen. 1994 erschien dann in Russland ein Buch mit dem Titel “Das Komplott zur Weltregierung – Russland und die goldene Milliarde”, in den darauffolgenden Jahren wurde der Begriff und das Gedankengut von Sergej Kara-Murza in die breite Öffentlichkeit getragen.
Hie und da taucht sogar die Vermutung auf, es sei geplant, die restlichen sieben Milliarden Menschen zu beseitigen oder zumindest drastisch zu reduzieren. So sagte Maria Sacharowa, die Sprecherin des russischen Außenministeriums, am 7. Juni 2023:
Bis zum letzten Ukrainer kämpfen – das ist der wahre Plan derer, die die Theorie der “goldenen Milliarde” verteidigen… Sie haben in all den Jahren nicht einmal verheimlicht, dass die Reduzierung der Weltbevölkerung eine ihrer Prioritäten ist.
Das heißt, die Ukrainer gehören offenbar auch nicht dazu. Es ist aber gar nicht ausgeschlossen, dass manche die Theorie von der goldenen Milliarde kennen – schließlich waren sie auch Teil der Sowjetunion – und dazugehören wollen, zum Beispiel als EU-Mitglied. Interessant finde ich darüber hinaus, dass eine hohe Offizielle der russischen Regierung ausspricht, bei dem Krieg ginge es unter anderem auch darum, möglichst viele Ukrainer zu töten. Das könnte auch meiner Ansicht nach eines der Kriegsziele sein. Aber aus anderen Gründen, mit der Weltbevölkerung hat das nichts zu tun. Es gibt gar nicht genug Ukrainer, um – selbst wenn alle tot wären – an der Gesamtweltbevölkerung eine nennenswerte Änderung zu bewirken, die Afrika nicht binnen eines Jahres kompensieren kann. Und kompensiert! Der perfide Plan “westlicher Eliten” scheint ein bisschen fehlerhaft zu funktionieren.
Dier russische Herkunft des Begriffs erklärt natürlich, warum Thomas Röper und seine Kommentatoren ihn immer wieder erwähnen, während er im deutschsprachigen Raum so gut wie unbekannt ist. Einen deutschen Wikipedia-Eintrag gibt es nicht, der englische ist sehr kurz und besagt am Anfang:
Die Theorie der goldenen Milliarde ist eine Verschwörungstheorie, die besagt, dass eine Kabale globaler Eliten die Fäden zieht, um den Reichtum der reichsten Milliarde Menschen der Welt auf Kosten des Rests der Menschheit anzuhäufen. Sie ist in der russischsprachigen Welt weitverbreitet.
An der kurzen Beschreibung erkennt man bereits, dass lediglich der Begriff “goldene Milliarde” bei uns unbekannt ist, das damit transportierte Weltbild, dass wir auf Kosten der Dritten Welt leben, ist hingegen über die politische Linke bis weit in den Mainstream hinein vorgedrungen. Das Gedankengut an sich geht allerdings noch weiter zurück als in die 1970er Jahre, als der Begriff geprägt wurde. Thorsten Mann, der Autor von Weltoktober (über die sowjetische Langzeitstrategie) und Rote Lügen im grünen Gewand (über Klimakommunismus) sagt dazu:
Wie häufig begegnet einem heute die Vorstellung, dass der Westen, der Kapitalismus, der kapitalistische Westen, wir alle auf Kosten der Dritten Welt leben! Das ist etabliertes Allgemeingut. Das stammt von Lenin! Das weiß aber keiner. Lenin hat in den 20er Jahren das Argument aufgebracht, die westliche Welt lebe auf Kosten ihrer orientalischen und östlichen Kolonien. Damit wollte er die Kolonien – also sozusagen die Dritte Welt, würde man heute sagen – revolutionär gegen den Westen aufhetzen. Und das ist gemacht worden. Und es ist erst später dann zu uns gekommen. Es gehört inzwischen auch zum Ideengut der Ökobewegung dazu, dass wir auf Kosten der Dritten Welt leben, in Verbindung damit, dass wir ja den Planeten zerstören. Angeblich!
Also unsere westliche Lebensweise ist angeblich dafür verantwortlich, dass in Zentralafrika irgendwelche afrikanischen Kinder irgendwelche Rohstoffe fördern müssen oder sowas. Das ist eine völlige Verzerrung der Tatsachen, die zurückgeht auf Lenin. Und das wissen viele Leute nicht. Das hat aber auch eine leninistische Zielsetzung, was noch weniger Leute wissen.
Ich habe mir selbstverständlich auch noch den viel ausführlicheren russischen Wikipedia-Artikel automatisch übersetzen lassen (das ist perfekt verständlich) und werde im Verlauf dieses Artikels auf Teile daraus zurückkommen. Zunächst möchte ich aber nur festhalten, dass auch auf Russisch von einer Verschwörungstheorie die Rede ist.
Die goldene Milliarde ist ganz offensichtlich keine rein statistische Bezeichnung und auch keine freundliche, aber das wurde mir schon durch den Kontext klar, in dem sie beim Anti-Spiegel auftauchte. Die meisten Sucherergebnisse führen allerdings nicht zu den Artikeln, sondern zu Kommentaren, in denen die goldene Milliarde ungefähr so gebraucht wird, wie die Kommunisten zu Zeiten der bolschewistischen Revolution den Begriff “Bourgeoisie” gebraucht haben. Das heutige Gegenstück zum Proletariat von damals ist der “globale Süden”, dem Russland irgendwie auch anzugehören scheint. Das widerspricht zwar eklatant der geographischen Realität, aber um beim Bild der bolschewistischen Revolution zu bleiben: In der Vorstellungswelt dieser Ideologen verhält sich Russland zum globalen Süden so wie Lenin und Trotzki zu der russischen Arbeiter- und Bauernschaft. Die haben ungefähr so viel mit Hammer und Sichel gearbeitet, wie Russland im Süden liegt, sich aber dennoch berufen gefühlt, die verelendeten Massen Gerechtigkeit zu verschaffen und zu diesem hehren Zweck knöcheltief im Blut zu waten. Unnötig zu erwähnen, dass es dem Proletariat in der Sowjetunion nicht besser ging als vorher. Eher im Gegenteil, die letzten Zaren waren an Reformen zur Verbesserung der Lebensumstände des einfachen Volkes interessiert, und haben diese auch auf den Weg gebracht. Nur gingen sie eben organisch und langsam vor – vielleicht auch zu langsam und nachlässig. Die Pläne von Pjotr Stolypin hätten aber durchaus das Potential gehabt, den russischen Lebensstandard langfristig dem westlichen anzugleichen. Er wusste, dass er damit den Bolschewisten ein Dorn im Auge war und hatte in seinem Testament schon Jahre vor seinem Tod verfügt: “Begrabt mich da, wo ich ermordet wurde.” Beides ist dann 1911 in Kiew geschehen. Man weiß nicht, wie es sonst gelaufen wäre, es ist allerdings nur schwer vorstellbar, dass es hätte schlimmer werden können als der sowjetische Weg.
Die Rolle der Bourgeoisie in einer kommunistischen Revolution ist nicht gerade erstrebenswert, vor allem dann nicht, wenn man bedenkt, dass große Revolutionsarmeen aus dem globalen Süden bereits in die Länder der goldenen Milliarde eingedrungen sind. Aber meiner Einschätzung nach ist eine gewaltsame Lösung eher nur als Ultima Ratio vorgesehen, stattdessen wird ein “friedliches Hineinwachsen in den Sozialismus” präferiert. Das ist offenkundig bereits im Gange und viele Leute halten es für richtig, dass ihre “weißen Privilegien” endlich verschwinden.
Im russischen Wikipedia-Artikel steht, dass Verschwörungstheorien in Russland sehr beliebt sind. Das macht ausgerechnet mir grundsätzlich die Russen nicht wirklich unsympathisch, und man könnte darüber hinwegsehen, dass sie einer Theorie anhängen, die nicht zutreffend ist. Wir leben nicht auf Kosten der Dritten Welt. Es ist zwar zutreffend, dass die globalen Eliten auch die Dritte Welt ausbeuten, aber ganz gewiss nicht zu unseren Gunsten, und sie beuten uns noch viel mehr aus, weil es bei uns viel mehr zu holen gibt. Vor allem wird unser Wohlstand durch hochwertige Arbeitskraft und Erfindungsgabe erzielt, nicht dadurch, dass wir zufällig auf einem Boden geboren sind, der Rohstoffe birgt, die wir nicht ohne fremde Hilfe fördern können. Oftmals wird aber so getan, als ob Letzteres die höchste Glanzleistung ist, die Menschen vollbringen können, weswegen wir tief in der Schuld der Dritten Welt stehen. Da waren sogar die Original-Kommunisten näher an der Wahrheit. Aber auch sie waren Betrüger, selbst wenn die Beschwerden der Arbeiter und Bauern, die sie aufgehetzt haben haben, zumindest teilweise berechtigt waren.
Aber es ist eben nicht nur der kleine Iwan vor seinem PC, der das mit der goldenen Milliarde auf etwas abgelegenen Internetseiten liest, es ist auch der große Wladimir persönlich, der den Begriff im Interview mit Tucker Carlson zweimal erwähnt:
Die Welt sollte ein einziges Ganzes sein, die Sicherheit sollte geteilt werden und nicht für die “goldene Milliarde” bestimmt sein. Dies ist das einzige Szenario, in dem die Welt stabil, nachhaltig und vorhersehbar sein könnte. Bis dahin ist die Spaltung des Kopfes in zwei Teile eine Krankheit, ein schwerwiegender Missstand. Es ist eine Phase schwerer Krankheit, die die Welt derzeit durchmacht.
Na prima! Es geht also nicht nur um Geld, sondern auch um gleiche Sicherheit in Somalia und beim Woolworth in Würzburg! Tatsächlich arbeiten die hierzulande agierenden Kollegen Putins bereits fieberhaft daran, dieses Ziel zu erreichen, und können bei der Sicherheitsangleichung schon sichtbare Erfolge aufweisen. Alles andere wäre eine schwere Geisteskrankheit der Welt und kann nur daran liegen, dass die “westlichen” Eliten, die offenbar in ihrer Allmacht die Sicherheit zuteilen, uns bislang dabei ungerecht bevorzugt haben. Und:
Die westliche Gesellschaft ist ja eher pragmatisch. Die Russen denken mehr an das Ewige, an moralische Werte. Ich weiß nicht, vielleicht werden Sie mir nicht zustimmen, aber die westliche Kultur ist eben doch pragmatischer.
Ich sage nicht, dass das schlecht ist, es macht es möglich, dass die heutige “goldene Milliarde” gute Erfolge in der Produktion, sogar in der Wissenschaft usw. erzielt. Dagegen ist nichts einzuwenden, ich sage nur, dass wir irgendwie gleich aussehen, aber unser Verstand ist ein bisschen anders gebaut.
Ich erinnere mich noch, dass es ganz zu Beginn des Ukrainekriegs einen Shitstorm wegen “Russophobie” und “Rassismus” gab, weil die Politikwissenschaftlerin Florence Gaub bei Markus Lanz das Folgende sagte:
Ich glaube, wir dürfen nicht vergessen, dass auch wenn Russen europäisch aussehen, dass es keine Europäer sind – im kulturellen Sinne.
Putin geht sogar noch weiter, er führt es nicht auf die Kultur zurück, sondern auf etwas Angeborenes. Ist er etwa auch russophob? Ganz ausschließen würde ich es nicht. Auf jeden Fall hat er deutlich mehr Russen in den Tod, die Invalidität, Traumatisierung und Trauer geschickt als dieser Talkshowgast.
Aber eigentlich ist er doch eher westophob. Er hat – etwas durch die Blume – ausgedrückt, dass wir zwar recht hochwertige Roboter sind, die nützliche und annehmliche Dinge produzieren und zur Verfügung stellen können, aber weder Moral noch Tiefgang, weder Spiritualität noch einen Zugang zu Werten haben, die über das Materielle hinausgehen. Und das Schlimmste ist: Ich kann mir vorstellen, dass viele Konservative da zustimmend nicken würden, zumindest was Deutsche angeht. So weit ist auch bei uns diese Gehirnwäsche schon gediehen und verbreitet. Das Bild vom eigenen Volk ist kalt und lieblos. Auf die Frage nach positiven Eigenschaften von Deutschen kommt bei den meisten gar nichts oder allenfalls etwas “Pragmatisches” – nichts Liebenswertes und nichts Erfreuendes. Testet es aus und macht es selber anders! Wir sind viel mehr als nur effiziente Steuerzahler, wir müssen es nur wieder finden – in der eigenen Seele erkennen und dann bei anderen Resonanz dafür schaffen. Selbstverständlich gilt das auch für die Russen, sie haben nur kein Monopol darauf. Diese Haltung kommt jedoch sicher nicht direkt von Putin in deutsche Köpfe und Herzen, es wäre lediglich ein großer Zufall, wenn sie nicht aus der gleichen Quelle käme, aus der auch er sie bezieht.
Das Interview war nicht das erste Mal, dass Putin von der goldenen Milliarde spricht. Der russische Wikipedia-Artikel führt aus:
Verschwörungstheorien werden von den russischen Behörden häufig verwendet. So verwendete Präsident Wladimir Putin im Jahr 2000 auf dem Gipfel der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftskooperation (APEC) den Begriff “goldene Milliarde”, um den Unterschied zwischen dem reichen “Globalen Norden” und dem armen “Globalen Süden” zu erklären. Im Jahr 2022 zitierte Wladimir Putin diese Verschwörungstheorie, um die Gründe für die diesjährigen Sanktionen gegen Russland zu rechtfertigen, die eigentlich wegen der russischen Invasion in der Ukraine verhängt wurden. Die Verschwörungstheorie der “goldenen Milliarde” wurde Reden von M. Kowaltschuk, D. Medwedew, N. Patruschew und S. Lawrow verwendet. Putin und die oben genannten Beamten schreiben der “goldenen Milliarde” einen gemeinsamen Willen zu, dass einige geheime Kräfte angeblich absichtlich dafür gesorgt haben, dass ein Teil des Landes [Russland?] in bitterer Armut verharrt.
Der Autor des Wikipedia-Artikels wirkt auf mich ziemlich kritisch gegenüber dieser Ideologie und es werden auch einige andere solche Stimmen aufgeführt, aber im Kreml hausen die alle nicht.
Als im März 2023 in Moskau die Internationale Bewegung der Russophilen von Steven Segal ins Leben gerufen wurde, war Außenminister Lawrow anwesend Er erwähnte in seiner Ansprache die goldene Milliarde und nannte als ihre Drahtzieher
Die Vereinigten Staaten – die Angelsachsen, seien wir ehrlich
Oh ja, die Angelsachsen! Die spielen eine tragende Hauptrolle im Kommentarbereich vom Anti-Spiegel, aber auch dort wird im redaktionellen Bereich unter anderem Sergej Lawrow damit zitiert, dass sie den Nahen Osten auf einen großen Krieg zutreiben.
„Der Westen ist es gewohnt, seine eigenen Probleme auf Kosten anderer zu lösen und die Rohstoffe anderer auszubeuten. Wie [der russische Präsident Wladimir] Putin sagte, um ‚die Miete des Hegemons zu kassieren’“, erklärte er.
So weit ich es recherchieren konnte, werden weder Israel noch die schwerreichen arabischen Ölstaaten irgendwo zur goldenen Milliarde gezählt, auch sie gehören offenbar zu den Opfern. Am Wohlstand und an der Industrialisierung liegt es offenbar nicht allein.
Wenn man die russische Bezeichnung für “goldene Milliarde” (золотой миллиард) in Google eingibt, erhält man zahllose Ergebnisse, wobei die Auswahl sich naturgemäß etwas willkürlich gestaltet, wenn man wie ich die Sprache nicht versteht. Da dürften viele interessante Puzzleteile verborgen liegen, die ich nicht gefunden habe. Zum Beispiel habe ich jedoch einen ziemlich neuen Artikel des oben schon erwähnten Sergej Kara-Mursa gefunden, der die Idee schon seit den 1990ern vertritt. Er heißt Die Ursprünge der goldenen Milliarde und gibt einen guten Überblick über das Gedankengut. Der Online-Übersetzer ist ausreichend, um alles zu verstehen. So wird zum Beispiel ein gewisser M.O. Menschikow zitiert, der bereits im Jahr 1900 geschrieben hat:
Von Europa aus zerstreuten sich weiße Raubtiere – Kolonisten – wie aus einem Adlernest in ferne Länder und Kontinente, und wo immer sie auftauchten, verschwand das Leben der Menschheit.
Oder er zitiert Claude-Lévy Strauss mit
Die aufrichtige Überzeugung, dass Menschen einer anderen Rasse (Kultur, Religion usw.) wenn nicht eine andere biologische Spezies, so doch zumindest eine andere Unterart darstellen – nicht ihre Nachbarn – war für die Europäer in der Zeit der Kolonialisierung zur Unterdrückung, Versklavung und physischen Vernichtung der lokalen Völker absolut notwendig.
Und ergänzt dazu:
Der Rassismus ist so tief im Gefüge der angelsächsischen Kultur verwurzelt, dass er selbst heute, wo er feierlich und offiziell als Doktrin verworfen wurde, wo die UNESCO-Erklärung zur Rasse verabschiedet und die Lehrpläne gründlich überarbeitet wurden, aus allen Ritzen kriecht.
Es ist Kommunismus pur – nur im Weltmaßstab, und daher mit starker Betonung auf aggressivem Antirassismus. Wir Weißen (nach Ansicht des Autors ohne Russen, aber da wäre ich mir am Ende des Tages nicht so sicher) haben die Rolle der Bourgeoisie unter Führung der Angelsachsen. Die Dritte Welt – aber auch der Planet selbst – haben die Rolle des unterjochten Proletariats und die Russische Föderation soll offenbar die Rolle Lenins einnehmen. Passend dazu wird dessen Leichnam noch immer im Mausoleum auf dem Roten Platz mit aufwendigen Methoden vom Verwesen abgehalten. Ich finde das ein bisschen gruselig und es ist auch bezeichnend, dass dieser Kult die Sowjetunion nun schon mehr als 30 Jahre überdauert. Sie hätten ihn ja nicht wegschmeißen müssen, sondern pietätvoll beerdigen können. Eine Mehrheit der Russen sowie orthodoxe und islamische Geistliche sprechen sich für dieses Vorgehen aus und es gab auch entsprechende Eingaben in der Duma – ergebnislos. Ein bisschen kann ich diese Weigerung aber auch nachvollziehen. Es ist wie mit Gerümpel im Keller. Eigentlich sollte man es wegschmeißen, aber dann denkt man: “Jetzt hast du es schon so lang unnötig aufgehoben. Und wenn du es heute wegschmeißt, fällt dir garantiert nächste Woche ein, wofür du es brauchen könntest.” Vielleicht sieht das Putin auch so.
Hier fühle ich mich verpflichtet, anzumerken, dass ich nicht in das Hörnchen des Mainstream einstimme und Putin als Weltbösewicht darstellen will. Wahrscheinlich ist er schon böse und auch ein Psychopath, das sind meiner Ansicht nach alle Spitzenpolitiker und müssen das wohl auch sein, aber darum geht es nicht. Ich benutze ihn als eine Art Ausgabegerät, aus dem ich Erkenntnis über die Beschaffenheit des weltweiten Systems zu gewinnen suche – und so weit möglich auch darüber, wie es weitergehen könnte. Westliche Politiker sind ebenfalls solche Ausgabegeräte, aber wie ich finde, mit einer ziemlich miesen Qualität. Putin finde ich interessanter, was aber natürlich auch daran liegen kann, dass ich das westliche Repertoire schon so oft gehört habe, dass es mir zu den Ohren raushängt und nur selten etwas Neues bietet, während Putin ein etwas anderes Repertoire hat.
Ich bin überzeugt, dass Prophetie zu einem gewissen Grad möglich ist. Nicht durch übersinnliche Fähigkeit, sondern durch genaues Beobachten und Hinhören, gepaart mit Erfahrung und Weisheit. Natürlich kann das wahrscheinlich niemand perfekt und ganz bestimmt nicht ich. Aber Übung macht – wenn vielleicht auch nicht den Meister – so doch zumindest immer ein bisschen besser.
Ich betrachte diesen Parallelen zur bolschewistischen Revolution nicht als einen Angriff Russlands auf uns oder unsere Lebensweise, nicht einmal als einen Angriff der russischen Regierung oder des KGB. Ja, es ist möglich und für mich sogar wahrscheinlich, dass Anatoliy Golitsyn und andere Überläufer die Wahrheit gesagt haben, und dass bereits in den 1950er Jahren nach Stalins Tod in einem inneren Kreis des KGB die sowjetische Langzeitstrategie ausgearbeitet wurde, die in vier Phasen aufgeteilt war, in deren letzte wir jetzt eintreten sollen (Great Reset). Thorsten Mann bezeichnet in Weltoktober die Phasen wie folgt:
- Phase 1: Vorbereitung der friedlichen Koexistenz (Aufbau der Infrastruktur für Phase 2)
- Phase 2: Friedliche Koexistenz (Offene Distanzierung vom Stalinismus, Handel, Technologietransfer, verstärkte Spionage, Unterwanderung und Beeinflussung linker Strukturen im Westen)
- Phase 3: Dynamischer sozialer Wandel (Zerschlagung der Hoffnung auf “falsche Demokratie” in Russland, zunehmende Demoralisierung im Westen) ab 1990
- Phase 4: Ära des globalen demokratischen Friedens
Hier sticht natürlich der Begriff “demokratisch” ins Auge, den viele als krassen Gegensatz zu “kommunistisch” begreifen. Das war aber nicht immer so. In der monarchistischen Zeit wurden die Begriffe fast austauschbar benutzt, das blieb im kommunistischen Teil der Welt auch noch viel länger erhalten als bei uns. Die Planung dieser Strategie wurde nur wenige Jahre nach Gründung der DDR in Angriff genommen, deren mittlerer Buchstabe ein D und kein K ist. Auch Nordkorea heißt offiziell Demokratische Volksrepublik Korea – und das ist nicht als Verhöhnung oder Etikettenschwindel gemeint. Auch bei uns wird der Begriff “Demokratie” oder vielmehr “UnseredemokratieTM” zunehmend in einer Weise verwendet, die nicht dem entspricht, was sich viele Westler darunter vorstellen. Ich tendiere zu der Ansicht, dass diese Vorstellung eine Illusion war und der Begriff jetzt so langsam wieder die Bedeutung annimmt, die er anfänglich hatte. Aber letztlich ist es irrelevant, was die einzig wahre ursprüngliche Bedeutung eines Wortes einmal war. Wichtig ist vielmehr, zur Kenntnis zu nehmen, dass heute Demokratie nahezu ein Synonym für Kommunismus ist – für die Ära des “globalen demokratischen Friedens”. Damit wird auch klar, warum die AfD nicht zu den demokratischen Parteien gezählt wird. Um noch einmal die Jungs von der Honigwabe zu zitieren. Sie sagen immer mal wieder sinngemäß:
Demokratie ist, wenn der Linkeste im Raum gewinnt.
Das ist ganz und gar nicht ihre eigene Ansicht, sie finden das furchtbar. Aber sie beobachten das in Talkshows und anderen Diskussionsrunden, über die sie gern ausführlich herziehen. Es ist eine scharfsinnige Beobachtung, auch wenn ich den Eindruck habe, dass sie die Tragweite und Tiefe dieser Erkenntnis selber nicht ganz verstehen, sondern es einfach nur sarkastisch meinen.
Kommunismus war von Anfang an international geprägt, sogar die Hymne heißt die Internationale. Deshalb war auch die riesige Sowjetunion für überzeugte Kommunisten nie mehr als Zwischenschritt. Vielleicht hat Stalin das anders gesehen, aber nach seinem Tod wandte sich das Politbüro vom Stalinismus ab, unter anderem auch deswegen, weil er das Image des Kommunismus so ramponiert hatte, dass vorerst keinerlei Aussicht mehr auf ein “friedliches Hineinwachsen” der restlichen Welt bestand, sondern dass für dieses Ziel eine langfristige und ausgefeilte Strategie erforderlich war. Es ist nicht abwegig, dass zu dem Zeitpunkt auch die ursprüngliche Idee des weltweiten Kommunismus wieder in den Vordergrund rückte. Dass sich das nicht schnell erreichen lässt und auch nicht mittels konventionellem Krieg, war den Sowjets natürlich klar.
Doch ganz gleich, wo diese Strategie einst ihre Ursprünge nahm, sie ist längst aus ihrem Nest ausgeflogen. Auch wenn es wirklich eine Strategie war, die von KGB-Agenten ausgearbeitet wurde, dann ist sie schon seit Jahrzehnten nicht mehr in Moskau festgetackert, sondern hat sich im gesamten Westen ausgebreitet, vor allem unter Politikern, Medien und anderen Beeinflussern, aber auch in erschreckendem Maße in der breiten Öffentlichkeit. Und genau das war ja auch Teil der Strategie. Diese Entwicklung lässt sich nicht mehr aufhalten, indem man den Kreml in die Luft sprengt oder Putin beseitigt oder etwas vergleichbar Geistesgestörtes und Martialisches tut, wie zum Beispiel Geld und Waffen in die Ukraine zu pumpen oder die heimische Energieversorgung zu zerstören. Ich fürchte ganz im Gegenteil, dass solcherlei Aktionen der geplanten Zielsetzung zuarbeiten. Immerhin bringen sie schon einmal den Lebensstandard der goldenen Milliarde dem des globalen Südens zunehmend näher.
Jetzt hat sich auch ein westliches Ausgabegerät mit einer Nachricht aktiviert, die vielleicht etwas Beachtung verdient. Emmanuel Macron hat als erster westlicher Regierungspolitiker den Einsatz von NATO-Truppen im Ukrainekrieg ins Gespräch gebracht. Mehr als das war es nicht, es war vage formuliert und noch ein sehr großes Vielleicht, aber eben doch der besorgniserregende Bruch eines Tabus, das bislang alle beachtet haben.
In einem PI-Artikel sieht Wolfgang Hübner die Motivation für diese Sound-Ausgabe Macrons neben “Leichtsinn und Größenwahn” folgendermaßen:
Ich schätze Herrn Hübner als integren und ehrlichen Mann, auch wenn ich seine Ansichten nicht immer teile – so auch nicht die zur Motivation Macrons für diese Aussage.
Das Letzte, was er von sich selber denken würde – da bin ich sicher – ist, dass er sowjetische bzw. leninistische Propaganda verinnerlicht hat und verbreitet. Aber genau das ist der Fall. Er hat die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Frankreich und diesen afrikanischen Staaten mit Sicherheit nicht genau analysiert – das muss er nicht und ich habe das auch nicht getan. Aber er geht automatisch davon aus, dass sie seitens Frankreichs (“Weiße Raubtiere” und Teil der goldenen Milliarde) ausbeuterischer Natur waren, während Russland (oder die glorreiche Sowjetunion?) eher die Rolle des “Befreiers” einnimmt.
Wie Thorsten Mann gesagt hat: “Das ist Allgemeingut!” Und das geht sehr weit in sehr konservative Kreise hinein. Es ist bezeichnend, dass nicht einmal ein redlicher Autor wie Herr Hübner auch nur auf die Idee zu kommen scheint, dass die Wirtschaftsbeziehungen zu Frankreich für diese afrikanischen Länder nutzbringend waren – und wahrscheinlich darüber hinaus noch ziemlich teuer für die französischen Steuerzahler. Ganz davon abgesehen, dass diese Länder Frankreich garantiert immer noch als Deponie für ihr nicht gerade angenehmes überschüssiges Volk benutzen, das sich dann dort (mit Hilfe der französische Regierung) gegen die Ausbeutung wehren kann.
Während die sowjetische Propaganda sich bei Herrn Hübner natürlich nur sehr gemäßigt auswirkt – aber nicht gar nicht! – füge ich nachstehend noch zwei weniger gemäßigte Ausführungen an, die beispielhaft das unverfälschte Resultat von hohen Dosen russischer Berichterstattung zeigen. Das sind keine Einzelfälle, innerhalb kürzester Zeit kann man Derartiges massenhaft finden (Ich habe Brudervolk und Afrika in die Suche eingegeben).
Und:
Das Säbelrasseln wird immer lauter jetzt werden schon die Kinder auf Krieg gepolt:
https://www.youtube.com/watch?v=kgsVFZXnkAE
Und Lauterbach stimmt schon mal das sogenannt Gesundheitswesen auf eine militärischen Konflikt ein:
https://web.de/magazine/politik/lauterbach-deutschland-militaerische-konflikte-ruesten-39387068
Es wird immer Verrückter.
Hier werden einige Tabus gebrochen.
Gefundenes Futter für die russische Propaganda. Medwedew schäumt vor Wut:“ Tod den deutschen Faschisten!“
https://twitter.com/bloombergblower/status/1763599235096748483
Einer der Beteiligten von dem Telefonat:
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Ingo_Gerhartz
Ganz besonders liegt ihm die Beziehung zu Israel am Herzen.
@blumenkohl: Mit dem Video ist wahrlich ein Tiefpunkt erreicht, der sich kaum noch unterschreiten lässt. Und vor allem ist es auch katastrophal schlecht gemacht. Der französische Akzent ist schlecht, der britische unerkennbar und die Panzer🤮in hat einen Akzent, den es nicht gibt, sowie eine Flagge, die es nicht gibt. Nun ja, wenigstens haben diese mordlüsternen Debilen nicht versehentlich die russische genommen.
Für all diejenigen, die meinen, die ÖR wären “Regierungsmedien”, könnte es ein interessanter Augenöffner sein. Die Medien reden der Bundesregierung nicht nach dem Maul, normalerweise ist es umgekehrt, aber wenn der Bundeskanzler nicht gleich spurt, wird gegen ihn gehetzt.
Das sieht alles gar nicht gut aus.
Mich hat auch schon der Wechsel im Verteidigungsministerium besorgt. Nach drei blöden Flintenweibern jetzt plötzlich wieder ein Mann und dazu noch einer, der nicht mal schwul ist und sogar gedient hat? Das kam mir verdächtig vor, vor allem, da die Begründung für den Abschuss seiner Vorgängerin vollkommen lächerlich war. Eine tütelig wirkende Oma ist schön und gut, um die Moral der Truppe zu ruinieren, aber im Ernstfall kann man das nicht brauchen.
@cirillacroft:
Ja, es scheint Schlag auf Schlag zu gehen. Und ich dachte bei Macrons Vorstoß noch: “Gottseidank war’s wenigstens nicht unserer”. Das war ein kurzes Vergnügen 🙁
Hier ist seine Tirade in voller Länge auf Deutsch übersetzt: https://tinyurl.com/2nk3d792
Thomas Röper hat bislang 8 Artikel zu dem Thema rausgehauen. Ich glaube schon, dass das ein guter Hinweis darauf ist, wie wichtig das in russischen Medien genommen wird. Und wieder fühle ich mich – wie in Teil 6 beschrieben – an ein Pingpong-Spiel erinnert. Westliche Politiker liefern der russischen Propaganda vollkommen grundlos verbale Steilvorlagen. Selbst wenn Macron den Einsatz von NATO-Soldaten plant, könnte er doch in der Öffentlichkeit sein verdammtes Maul darüber halten, bis es so weit ist.
Aber die Aktion der Luftwaffe ist noch schlimmer. Man sollte eigentlich in so einer Position schon in Erwägung ziehen, dass die Russen einen abhören. Dabei bin ich nicht einmal ganz sicher, ob sie es abhören mussten oder ob es ihnen frei Haus geliefert wurde.
Zur Reform der Bundeswehr fanden ich diesen neusten Bericht kann’s interessant:
https://m.youtube.com/watch?v=fUYyukb7qFo
In Litauen soll ein deutscher Stützpunkt eröffnet werden, wo sich vornehmlich sogenannte Mittlere Truppen befinden sollen. Also z.B. Panzerhaubitzen auf Rädern und nicht auf Ketten. Die sollen sich schneller verlegen lassen. Nur Blöd das Litauen ziemlich sumpfig/ matschig ist. Da bringen die Räder dann auch nicht viel. Im Video kommt ein Anonymer Hochrangiger Soldat vor, dieser sagt, dass der Einsatz von mittleren Kräften an der Front zu hohen Verlusten führen wird. Tja…
Ich kann mir leider Leute vorstellen, die das nicht bedauerlich finden würden.
Das Beste und Preiswerteste wäre die Anschaffung von weißen Fahnen, Wodka und Zigaretten.
Was mir bei dem Video über die Bundeswehr aufgefallen ist: Da wird von 2027 und 2030 geredet.
Geht man also davon aus, dass die Russen so lang warten???
Der Krieg läuft doch schon. Entweder wir werden da reingezogen, dann bringt die ganze geplante Bewaffnung in fünf Jahren gar nichts. Dann sind wir schon längst übernommen, bevor die Bestellung eintrifft. Oder wir werden da nicht reingezogen, dann braucht man die Waffen doch gar nicht. Also egal wie es läuft – es scheint unnötig. Es ist, als ob man, wenn die Randalierer schon vor der Haustür stehen, in China Pfefferspray bestellt und im Darknet nach Schusswaffen sucht. Wenn man nichts im Haus hat, muss man eben zusehen, wie man die Randalierer besänftigt, aber sie ganz bestimmt nicht vorsätzlich provozieren. Doch genau das tun sie!
Ich denke nun gar nicht unbedingt, dass die Russen uns angreifen. Und diese langfristige Militärplanung sieht auch nicht danach aus, dass die Politiker damit rechnen. In dem Fall müsste man doch irgendetwas tun, was sofort wirkt – zum Beispiel mal die Waffen, die man schon hat, für sich selber behalten. Es deutet eher darauf hin, dass weit über den Ukrainekrieg hinaus ein neuerlicher langer Kalter Krieg in Planung ist. Dass der Konflikt in der Ukraine demnächst auf die eine oder andere Art erledigt ist und dass man sich dann mit Russland wieder verträgt, scheint nicht vorstellbar zu sein.