In meinen Gedanken zum Ukrainekrieg habe ich in Teil 5 und Teil 6 erwähnt, dass ich mich beim Beschäftigen mit russischer Propaganda jedes Mal wie von einer Dampfwalze überrollt fühle. Möglicherweise war das für Leser, die nicht so tief in diese fremde Welt eingestiegen sind, etwas unverständlich. Ich schätze jedoch, wer sich das Interview in voller Länge angetan hat, das Tucker Carlson kürzlich mit dem unangefochtenen Großmeister in dieser Disziplin geführt hat, kann dieses Gefühl jetzt nachempfinden.
Ich bin überzeugt, dass Putin nicht einfach nur ein langweiliger alter Schwafler ist, der sich in leicht abgewandelten Worten ständig wiederholt. Er ertränkt seinen Gesprächspartner in einer riesigen Jauchegrube irrelevanter Informationen und beantwortet vor allem nicht eine einzige seiner Fragen – vielleicht mit einer Ausnahme: Die Frage nach der Sprengung der Pipelines. Da stellt er recht unmissverständlich klar, dass er nicht nur denkt, es seien die USA gewesen, sondern das auch sicher weiß. Mein Hauptverdächtiger ist das ebenfalls, aber durch die Reaktion von Putin ist die Wahrscheinlichkeit, mit der ich das annehme, geschätzt von 80 Prozent auf 70 Prozent gefallen. Schon die Enthüllung von Seymour Hersh hat sie von 90 auf 80 Prozent fallen lassen. Dem traue ich auch nur so weit, wie ich eine Waschmaschine werfen kann.
Zurück zur Dampfwalze! Die Propagandatechnik, den Geist der Menschen mit unwichtiger Gülle zuzumüllen, dass sie das Wesentliche nicht mehr sehen können, selbst wenn es in einem ungestörten Umfeld für jeden leicht erkennbar wäre, wird auch im Westen genutzt. Aber bei uns läuft das viel subtiler und nur im Zusammenspiel vieler Medien und Akteure. Es passiert nie, dass ein einzelner Akteur das tut, und vor allem sind die Informationen, mit denen wir zugemüllt werden, nicht ganz so offensichtlich ohne jeden erkennbaren Zusammenhang mit der Frage. Oder kann sich jemand die folgende Interviewsituation vorstellen?
Tucker Carlson: Herr Bundeskanzler, warum liefert die Bundesregierung Waffen an die Ukraine?
Olaf Scholz: Im Jahr 962 nach Christus wurde Otto I. zum Kaiser gekrönt. Das war die Geburtsstunde des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und in dieser Zeit wurden entscheidende Grundlagen für das Europa der kommenden Jahrhunderte gelegt. Das ist wichtig für das Verständnis der Gesamtsituation und zur Untermauerung der Tatsache, dass wir hier ein ernstes Gespräch führen und keine Show veranstalten. Lassen Sie mich also bitte 30 Sekunden oder eine Minute einen kurzen historischen Abriss geben.
Zehn Minuten (und gefühlte zwei Sunden) später:
Tucker Carlson (im verzweifelten Bemühen, die Dampfwalze zu stoppen, ohne unhöflich zu werden): Ich bitte um Verzeihung, können Sie uns sagen, in welchem Zeitraum… Ich verliere den Überblick, wo in der Geschichte wir uns befinden?
Olaf Scholz: Im 13. Jahrhundert.
Oh nein! Noch nicht mal ein Drittel!
Aber der Bundeskanzler ist einsichtig und überspringt gnädig ein paar weniger relevante Jahrhunderte, um im 17. Jahrhundert Halt zu machen und in epischer Breite über den 30-jährigen Krieg zu referieren, und darauf hinzuweisen, wie niederträchtig deutsche Großmut von anderen Völkern vergolten wurde. Um weitere störende Zwischenfragen des ignoranten Cowboys zu verhindern, sichert er zu, im weiteren Verlauf regelmäßig Daten zu nennen. Und damit nicht die böswillige Vermutung aufkommt, die historischen Ereignisse könnten erfunden sein, winkt er einen bereitstehenden Untergebenen herbei, der ihm eine Dokumentenmappe überreicht, aus der Tucker Carlson zweifelsfrei den Wahrheitsgehalt der Vorlesung entnehmen kann, wenn er will. Aber er will nicht.
Ich bin garantiert kein Fan von Olaf Scholz. Auch er redet eine Menge Unsinn, aber die Vorstellung, er könne sich in einem Interview derart verhalten, ist einfach nur absurd und lustig. Nun, Putin hat es wirklich getan. Inklusive Dokumentenmappe!
Ich wäre von selber nie auf die Idee gekommen, den Wahrheitsgehalt der historischen Ausführungen anzuzweifeln, und zwar schlichtweg deshalb, weil sie mich viel zu wenig interessieren, um sie auch nur ins Kurzzeitgedächtnis aufzunehmen, geschweige denn, die Mühe für einen Zweifel aufzubringen. Aber als die Dokumente auftauchten, kam mir gleich der ketzerische Gedanke, dass das vielleicht alles nicht stimmt, zumindest aber von den anderen beteiligten Völkern ganz anders wahrgenommen wurde. Auch das ist ein beliebter Propagandatrick. Im sicheren Wissen, dass das Zielpublikum die präsentierten Quellen nicht liest oder gar auf Authentizität überprüfen kann, bleibt doch der Eindruck: “Der hat das mit Dokumenten untermauert.” Das erinnert an DiewissenschaftTM und wieder mal haben wir ein Beispiel für: Hüben wie drüben!
Besonders vehement verteidigt werden derartig erlangte Erkenntnisse von Menschen mit einem gewissen intellektuellen Anspruch, die nicht zugeben wollen, dass sie zu faul sind, den schwer verdaulichen Wust zu lesen, und daher vorgeben, das getan zu haben. Das fliegt nie auf – vermutlich deswegen, weil fast alle anderen es auch so machen – und mit ein paar wenigen gängigen Phrasen kann man in jedem Smalltalk den Anschein eines kultivierten Menschen mit fundierter Bildung erwecken. Dieses Verhalten ist der beste Weg, zu einem gehirngewaschenen Vollidioten zu werden – nur für den Fall, dass jemand hilfreiche Tipps dafür sucht 😉
Der feste Glaube, dass es da schon irgendwelche seriösen Studien gibt, die das Mainstream-Narrativ untermauern, ist allerdings durchaus geeignet, die Meinungsbildung zum Beispiel zu Klima oder Corona zu beeinflussen. Aber das doch nicht! Vielleicht ist es in Russland ein bisschen anders, ich argwöhne allerdings schwer, dass das möglicherweise stärker betonte Geschichtsbewusstsein der Russen ein ähnliches Fundament hat wie das, was ich einen Absatz weiter oben beschrieben habe. Aber weder Tucker Carlson noch irgendein anderer Mensch im Westen macht seine Einstellung zum Ukrainekrieg oder zu Russland ganz allgemein davon abhängig, ob die Geschichten über Fürst Wladimir und Prinzessin Olga aus dem 10. Jahrhundert wahr oder erfunden sind. Das ist uns scheißegal!
Und Putin muss das wissen!
So fällt auch den sympathischen Jungs von der Honigwabe auf, dass er
kaum an die Westler appelliert hat, vor allem nicht an die konservative Opposition in den liberalen westlichen Hochburgen.
Sie haben auch Ideen, wie er es hätte besser machen können:
Allein die Gemeinsamkeit: Progressivität als Feind!
Progressivität ist aber kein Feind. Es ist eine Waffe. Und gegen wen setzt man Waffen ein? Gegen Feinde.
Ich habe genau die gleichen Beobachtungen gemacht wie diese jungen Männer, die aus dem AfD-Umfeld sind, aber das Potenzial zu tieferen Einsichten haben. Ich ordne das Beobachtete nur anders ein, was daran liegt, dass mir im Gegensatz zu den beiden die sowjetische Langzeitstrategie oder auch Perestroika-Täuschung bekannt ist. Unter Gedanken zum Ukrainekrieg – Teil 10: Back in the USSR sind mehrere Quellen zu dazu verlinkt und irgendwann schreibe ich vielleicht auch selber noch einen Text dazu. Auch dieses Interview habe ich selbstverständlich mit diesem Wissen im Hinterkopf gelesen und was soll ich sagen? Der Verdacht verdichtet sich immer mehr. Ehrlich gesagt, ist es schon einige Zeit kein Verdacht mehr. Aber ich möchte niemanden beeinflussen, sondern nur dazu anregen, sich ein paar Grundlagen zu der Theorie anzueignen und sie in der Folge anhand aller Ereignisse auf Plausibilität zu prüfen. Besonders geeignet sind Ereignisse, die verwirrend wirken und mit herkömmlicher Betrachtung keinen Sinn ergeben, zum Beispiel, wenn man sich wundert, warum Putin nicht das sagt, wofür er vom Mainstream angeblich gehasst wird:
Wir haben in Russland kein Bock auf Transformer. Transformer soll zu sein, bei euch ist Transformer auf, habt ihr nicht auch kein Bock auf die? Und vielleicht plakativ: Die Ukraine hat sich dem Westen angebiedert, dadurch dass sie einen Transformer zum Armeesprecher gemacht hat. Mit uns gäb’s so ne Scheiße nicht …
Hier das Video, aus dem ich zitiert habe:
Ja, in der Tat. Es wäre ganz großes Kino gewesen, wenn er das gesagt hätte, am besten wortwörtlich 😀 Natürlich ist auch den Jungs von der Honigwabe klar, dass Putin es ganz anders hätte ausdrücken müssen und auch können, aber es bleibt der Fakt: Er hat es NICHT gesagt, nicht einmal ansatzweise.
Die Täuschung geht sehr viel tiefer als viele denken. Grob vereinfacht ließe sich die Meinungsverschiedenheit bei uns folgendermaßen zusammenfassen:
Mainstream: Putin ist gegen Wokeness und den Great Reset. Deshalb ist er unser Feind.
AfD-Umfeld: Putin ist gegen Wokeness und den Great Reset. Deshalb ist er unser Freund.
Die Wahrheit ist aber: Putin ist NICHT gegen den Great Reset in eine kommunistische Weltregierung, sondern einer der führenden Protagonisten dieses Projekts. Die vermeintliche Feindseligkeit zwischen Russland/China und dem Westen ist eine der Strategien zu seiner Umsetzung, und wahrscheinlich dient auch der Ukrainekrieg diesem Ziel auf die eine oder andere Art. Ich glaube nicht, dass es ein echter Krieg um Gebiete ist, wobei die Soldaten natürlich schon echt sterben. Aber das hat Sowjet-Funktionäre nicht gestört und das stört auch heute keinen Politiker – weder in Moskau noch in Kiew, weder in Washington noch in Berlin.
Und Putin ist NICHT gegen Wokeness. Zumindest ganz und gar nicht im Westen, und auch in Russland nur teilweise, zum Beispiel bei dem LGBTQ-Kram, nicht aber beim Bevölkerungsaustausch und erst recht nicht beim ewigen “Kampf gegen den Nazismus” im In- und Ausland. Wikipedia berichtet:
Russland unterhält mit die liberalste Einwanderungspolitik der Welt.
(…)
Das spiegelt einen Politikwandel wider, der seitens der Regierung von Wladimir Putin als Reaktion auf die zurückgehenden Geburtenraten beschlossen wurde, und die restriktivere Politik ablöste, die 1991 nach dem Zerfall der Sowjetunion in Kraft gesetzt wurde.
(…)
Die großen nichtslawischen Bevölkerungsgruppen, die in Folge von Putins liberaler [Einwanderungs-]Politik ankommen, stoßen zuweilen auf Fremdenfeindlichkeit. Um dem entgegenzuwirken, hat der russische Staat in Übereinstimmung mit russischen Hassrede-Gesetzen verschiedene Anti-Immigrations-Gruppierungen verboten, wie zum Beispiel die Bewegung gegen illegale Zuwanderung.
Dessen ungeachtet gefällt es ihm aber sehr wohl, darauf herumzureiten, wie minderwertig, moralisch verkommen und materialistisch wir sind, weil wir den LGBTQ-Kram haben. Das dient wahrscheinlich überwiegend der Inlandspropaganda, Russen von der Überlegenheit des Systems zu überzeugen, das ihnen einen erkennbar schlechteren Lebensstandard bietet, als Westler ihn haben. Das trifft auch trotz des woken Rattengifts, das uns in den Rachen gestopft wird, immer noch zu, und zwar nicht nur finanziell: Auch bzgl. Lebenserwartung, Scheidungs- und Abtreibungsraten, grassierendem Alkoholismus, Mord- und Suizidraten sieht in Russland alles düsterer aus. Aber dafür ist man kultiviert, geschichtsbewusst und spirituell hochwertig mit traditionellen Familienwerten. Zumindest im Propagandauniversum. Wie viel die Leute davon glauben, kann ich nicht beurteilen. Bei einigen Westlern verfängt es aber. Für diejenigen Russen, die genauso wie wir versuchen, sich gegen den Bevölkerungsaustausch und andere Übel zu wehren, ist das nicht schön.
Diese Prahlerei, die bei leichtem Kratzen an der Oberfläche bröckelt, zieht sich in Zusammenwirkung mit einer mehr oder weniger subtilen, aber stetigen Verächtlichmachung des Westens durch das ganze Interview und scheint mir die Essenz der Litaneien zu sein. Es ist eine unangenehme Mischung aus Selbstbeweihräucherung (“Wir strecken immer eine freundschaftliche Hand aus…”), Verfolgungswahn (“… und werden immer wieder abgewiesen, hintergangen und mit Vernichtung bedroht…”) und Größenwahn (“aber wir sind trotzdem unbesiegbar”).
Natürlich haben auch Konservative im Westen mitbekommen, dass Putin und seine Propagandisten die Wokeness verbal verachten, und das als eine Gemeinsamkeit missverstanden. Der Trick ist ganz einfach: Kipp deinem Nachbarn eine Fuhre Mist in die Wohnung und sag dann: “Seht her, was das für ein Dreckschwein ist.” Natürlich darf nicht unerwähnt bleiben, dass die westlichen Politiker Komplizen dieses Vorgehens sind, aber ich denke, es ist mittlerweile ausreichend klar, dass ich mir über die gar keine Illusionen mache.
Trotz all dieser Erwägungen bleibt aber dennoch die Beobachtung, dass Putin nichts unternommen hat, westliche Dissidenten für sich zu gewinnen. Ich habe den Eindruck, früher hat er das eher getan. Was bedeutet das?
Da kann man nur spekulieren. Eine Möglichkeit ist, dass er vor allem auf Inlandspropaganda gesetzt hat, weil er davon ausgeht, dass es im Westen sowieso kaum jemand sieht, während es in Russland garantiert auf allen Kanälen gezeigt und ausgiebig besprochen wird. Und weil er nicht möchte, dass Russen auf die Idee kommen, es könne im Westen auch normale, sympathische Menschen geben. Die Hasspropaganda gegenüber dem “kollektiven Westen”, die über den russischen Mainstream ausgekübelt wird, ist erschreckend. Die Begleitmusik der Sorte “Wir wollen doch eigentlich nur in Frieden leben und gegenüber allen freundlich sein”, die auch im Interview alles durchdringt, mildert das nicht, sondern verstärkt den Effekt des Aufhetzens noch. Die einfachen, normalen Russen wollen genau das nämlich tatsächlich – genauso wie wir auch. “Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.” So werden Russen indoktriniert, und wieder: genauso wie wir. Nur eben sehr, sehr viel rustikaler.
Jetzt bin ich aber weit abgeschweift, wir waren doch immer noch im 17. Jahrhundert, als jemand namens Bogdan Chmelnizkij, der sich irgendwie über Polen ärgern musste,
die Macht in diesem Teil der russischen Länder innehatte, der heute Ukraine heißt.
Das ist eine aufschlussreiche Formulierung. Hie und da versteckt sich in der Litanei doch etwas, aus dem man mit etwas detektivischem Spürsinn eine vage Antwort auf Tucker Carlsons klar formulierte Fragen extrahieren kann.
Allein, das muss dennoch nicht zwangsläufig die wahre Antwort sein. Begründungen, die Politiker für ein Vorgehen oder eine Maßnahme geben, sind so gut wie nie der wahre Grund – weder bei uns noch in Russland. Oft gibt es auch mehrere davon. Ich habe vier russischen Begründungen für den Krieg in meinen Gedanken zum Ukrainekrieg bereits behandelt:
- Teil 5 – Wir müssen diesen armen (im Donbass) Menschen helfen
- Teil 6 – Die Einkreisung (durch die NATO)
- Teil 7 – Die multipolare Weltordnung
- Teil 8 – Entnazifizierung
Auf die letzte geht er auch im Interview sehr ausführlich ein und sagt:
Ich sage, dass die Ukrainer ein Teil des einen russischen Volkes sind. Sie sagen: “Nein, wir sind ein separates Volk”. Okay, gut. Wenn sie sich selbst als ein separates Volk betrachten, haben sie das Recht dazu, aber nicht auf der Grundlage des Nazismus, der Nazi-Ideologie.
Das ist eine interessante Feststellung, wenn man bedenkt, was heutzutage alles als Nazi-Ideologie gilt – auch hierzulande.
Die fünfte Begründung, dass die Ukrainer sowieso Russen sind und sich überdies stets sehr undankbar und rücksichtslos gezeigt haben, ist damals an mir vorbeigegangen. Ich meine mich sogar zu erinnern, dass die Vermutung, Putin respektiere die Staatlichkeit der Ukraine nicht und wolle sich das ganze Land einverleiben, eine westliche Unterstellung war, die von Moskau als unwahre und boshafte Propaganda zurückgewiesen wurde. Aber Wandlungen bei Begründungen sind kein seltenes Phänomen, wenn wir uns nur zum Beispiel an Corona erinnern.
Nach weiteren gefühlten Ewigkeiten im Dämmerschlaf, der an lang zurückliegende Schulzeiten erinnert, schreckt man plötzlich hoch, weil erstmals (von insgesamt 16 Mal) der Name Hitler fällt, und es macht sich Erleichterung breit: Nur noch ein einziges Jahrhundert!
Diese Erleichterung können meine Leser jetzt teilen. Es macht vielleicht keinen guten Eindruck, wenn man sich einerseits über ausschweifende Ausführungen anderer lustig macht, sich aber andererseits selber auch nicht gerade kurz fasst. Deshalb möchte ich nur noch auf Putins Äußerungen zu Deutschland eingehen und dann zum Ende dieses Teils kommen.
Das Handeln der bundesdeutschen Politiker “verwirrt” ihn, er “versteht nicht”, warum sie tun, was sie tun und hält sie für “höchst inkompetente Leute”, wobei er auf den Tisch klopft, um akustisch zu untermalen, wie hohl ihre Köpfe sind. Damit versucht er, den Anschein zu vermitteln, er befände sich ungefähr auf der Erkenntnisstufe eines durchschnittlichen PI-Kommentators, der Freude daran hat, kreative Ausdrücke für die Dummheit der Politiker zu finden. Er erwähnt zwar noch, dass die Bundesrepublik Deutschland eher den Interessen des “kollektiven Westens” dient, als eigenen nationalen Interessen – was eine Binsenweisheit ist – erweckt aber den Eindruck, das wäre deren freie Entscheidung und er hätte keine Ahnung, warum sie so entscheiden.
Der kollektive Westen
ist ein Begriff, der mir im russischen Propagandauniversum häufig begegnet ist. Meiner Ansicht nach steht er symbolhaft für die russische Bemühung, den Globalismus als rein westliches Phänomen darzustellen, dem Russland und China den vermeintlichen (!) Gegenentwurf der multipolaren Weltordnung entgegensetzen.
Den naiven kleine Wladimir, der nicht wirklich verstehen kann, warum die große, böse Welt der Politik nicht einfach so nett und gutmütig ist wie er, spielt er mehrfach in diesem Interview und hat es auch schon früher getan. Faktisch widerlegen kann man das nicht, die Gedanken in anderer Leute Köpfe entziehen sich der Beweisbarkeit und Widerlegbarkeit. Aber es ist natürlich dennoch eine ungeheuerliche Schmierenkomödie und ich frage mich, ob es wirklich Leute gibt, die ausgerechnet einem ehemaligen KGB-Mann das abnehmen.
“Trotz all dieser Erwägungen bleibt aber dennoch die Beobachtung, dass Putin nichts unternommen hat, westliche Dissidenten für sich zu gewinnen.”
Ist mir auch aufgefallen. Ich glaube aber nicht, dass er damit der Inlandspropaganda geschadet hätte. Vielleicht interessiert es ihn einfach nicht.
Tucker Carlson selber zeigt sich zufrieden mit den Antworten:
https://www.t-online.de/nachrichten/ausland/id_100340300/nach-interview-tucker-carlson-verteidigt-kremlchef-putin.html
@Juppi:
Ja, da hast Du wohl recht. Er hat den großen, spirituellen Führer gegeben, der über allem steht, und in diese Rolle passt es nicht, sich über solche niederen Dinge auszulassen, mit denen sich das niedere Volk beschäftigt.
Ich lehne eine solche Führungs- und Identifikationsfigur für eine Nation ganz und gar nicht grundsätzlich ab und denke sogar, dass sie kein billiger Wegwerfartikel sein sollte, wie es alle gewählten Politiker sind. Der Spross aus einer Erbmonarchie hingegen steht symbolhaft für die Dauerhaftigkeit der Nation über alle tagespolitischen Wandlungen hinweg.
Aber die Zarenfamilie ist unwiederbringlich ausgerottet. Um so etwas in Russland wieder einzuführen, müsste eine neue Dynastie entstehen. Theoretisch könnte das Putin sein, und er erweckt schon den Eindruck, dass er sich der Weltöffentlichkeit als solche Figur präsentieren will.
Aber er IST es nicht. Er ist ein Blender. Ein hochintelligenter und sehr gut geschulter (KGB) Blender zwar, aber dennoch ein Blender.