Konkrete, neue Erkenntnisse darüber, wie es bezüglich der Kriegssituation in der Ukraine sowie im Verhältnis zwischen Russland und uns weitergehen könnte, hat das Interview mir nicht gebracht. Aber das habe ich auch gar nicht erwartet. Ich halte Putin für genauso vertrauenswürdig wie die westlichen Politiker, die auf der Weltbühne agieren – oder anders ausgedrückt: Ich glaube ihm nicht ein einziges Wort. Doch selbst von einem halbwegs ehrlichen Staatschef (falls es so etwas überhaupt gibt) kann man nicht erwarten, dass er etwas anderes als Propaganda von sich gibt, wenn sich sein Land im Kriegszustand befindet. Es bleibt also nur die Meta-Ebene, um vielleicht doch das eine oder andere daraus mitzunehmen, und dazu gehören auch die Reaktionen.
Nach dem schönen Motto “Erst das Vergnügen, dann die Arbeit” habe ich mir zunächst angesehen, was vernünftige Leute dazu geschrieben haben, bevor ich mich in die Niederungen der offiziellen Propagandaschleudern begebe. Allen Lesern, denen ich ein bisschen zu ablehnend gegenüber Putin eingestellt bin, kann ich den Artikel empfehlen, den die Speerspitze des Widerstandes dazu geschrieben hat. Sie nehmen ihm seine Friedensbereitschaft im Gegensatz zu mir weitgehend ab, und es ist immer gut, unterschiedliche Einschätzungen zu lesen. Ihnen ist aber ebenfalls aufgefallen, dass Tucker Carlson ein bisschen erschlagen von der Geschichtsvorlesung war:
Putin lässt sich zu Beginn des Interviews so lange über die Geschichte Russlands aus, dass Carlson sich sichtlich verarscht fühlt.
Stimmt! Und meiner Ansicht nach auch zurecht. Das war herablassend und unverschämt. Die Frage, die diese Geschichtsbetrachtung hervorgerufen hat, war nämlich nicht “Gibt es ein ukrainisches Volk?” und auch nicht “Warum ist die russische Armee in die Ukraine einmarschiert?”, sondern
Am 22. Februar 2022 wandten Sie sich in Ihrer landesweiten Ansprache an Ihr Land, als der Konflikt in der Ukraine begann, und Sie sagten, dass Sie handelten, weil Sie zu dem Schluss gekommen waren, dass die Vereinigten Staaten durch die NATO einen, Zitat, “Überraschungsangriff auf unser Land” starten könnten. In amerikanischen Ohren klingt das paranoid. Sagen Sie uns, warum Sie glauben, dass die Vereinigten Staaten Russland aus heiterem Himmel angreifen könnten. Wie kamen Sie zu diesem Schluss?
Bevor Putin mit seinen historischen Betrachtungen anhebt, bemerkt er, dass er das nicht gesagt habe, worauf Tucker Carlson sehr künstlich lacht. Aber es trifft natürlich auch zu. Ich kann zwar nicht auszuschließen, dass er es irgendwann gesagt hat, aber erstens war die landesweite Ansprache, die ausdrücklich als Quelle erwähnt wird, vom 24. Februar 2022, zweitens findet sich darin kein entsprechendes Zitat und meiner Ansicht nach nicht einmal eine Andeutung. Es ist mir unverständlich, warum Tucker Carlson das Interview mit so einer blöden Frage eröffnet und sogar noch das Datum des Kriegsbeginns falsch nennt (wobei der 22.2.22 natürlich sämtliche Zahlenmystiker jahrelang beschäftigt hätte 😉 ). Und damit möchte ich mich kurz von dem Interviewten ab- und dem Interviewer zuwenden.
Mir war der Mann bislang nur vom Namen vage als Figur aus der schillernden Trump-QAnon-Entourage bekannt, d. h. als niemand, von dessen Äußerungen ich mir irgendeinen Erkenntnisgewinn verspreche. Ich habe nicht einmal gewusst, wie er aussieht (und ihn mir wie einen Trucker vorgestellt). Aber Mainstream-Journalisten wollen Putin ja nicht interviewen (ganz davon abgesehen, dass sie auch nicht vertrauenswürdiger sind) und ein echter alternativer Journalist hat selbstverständlich keinen Zutritt zum Kreml. Also muss man nehmen, was man kriegen kann.
Axel B. C. Krauss hat unter dem Titel Was niemand über das Putin-Interview von Tucker Carlson sagt eine sehr scharfsinnige Analyse von Kit Knightly übersetzt, in dem dieser sich nicht nur mit Putin, sondern vor allem auch mit Tucker Carlson im Speziellen und alternativen Medien im Allgemeinen befasst. Es lohnt sich wirklich, den Text in Gänze zu lesen, hier nur eine kleine Kostprobe:
Tatsache ist, dass die alten Medien aussterben. Was eine gute Sache ist. Aber glauben Sie, dass das Establishment das nicht sieht?
(…)
Wie ein Einsiedlerkrebs, der seine Schale wechselt, werden sie sich einfach von ihrem alten Zuhause in ein schönes, glänzendes neues Haus der „unabhängigen Medien“ schieben.
Auf Wiedersehen, altmodisches CNN, hallo, ehrliche, völlig organische Guerilla-Nachrichten, die per Livestream auf X übertragen werden und völlig zufällig vom Algorithmus gefördert werden.
Auf Wiedersehen lange Leitartikel in Zeitungen, hallo Zehn-Sekunden-Tiktoks von gefälschten Influencern in einer staatlich betriebenen Meinungsfabrik.
Auf Wiedersehen Tucker Carlson, bezahlter Disinfo-Promoter, hallo Tucker Carlson, Stimme der neuen Medien, die irgendwie immer noch von genau den Kräften gefördert wird, die er eigentlich bekämpfen sollte.
Dass der Mann nicht vertrauenswürdig ist, steht natürlich fest, aber mir erschließt sich trotzdem nicht, warum er das Interview mit der Frage nach einem offensichtlich und nachweisbar erfundenen Zitat eröffnet hat, das angeblich in den USA den Eindruck von Paranoia erweckt hat. Ich bleibe an solchen Kleinigkeiten hängen, und ich glaube auch, dass das ein wichtiges Werkzeug bei der Wahrheitssuche ist. Natürlich können auch Fehler durch Unachtsamkeit passieren, aber nicht solche bei so einem wichtigen Anlass. Irgendeinen Grund hatte das, auch wenn ich ihn nicht erkenne. Und falls es tatsächlich eine Unachtsamkeit gewesen sein sollte, spricht das Bände darüber, wie nachlässig und desinteressiert die Schausteller mittlerweile agieren und wie sehr sie ihr Publikum verachten (“Mühe muss man sich nicht geben. Die Deppen merken sowieso nix!”)
Doch zurück zum Hauptdarsteller. Die Speerspitze schreibt weiter:
Allerdings wird irgendwann klar, warum der Präsident von Ereignissen erzählt, die tausend Jahre zurückliegen: Er versucht zu verdeutlichen, dass es die Ukraine als eigene Nation vor dem Zerfall der Sowjetunion nie gegeben hat.
Ja, das ist das Fazit, aber das ist vollkommen irrelevant. Es gibt die Ukraine JETZT, und zwar von der Russischen Föderation anerkannt. Und das reicht vollkommen aus. Von einer Probezeit, in der man anerkannte Staatsgründungen bei Fehlverhalten (“Nazismus”) wieder rückgängig machen kann, steht meines Wissens nichts im Völkerrecht. Aber genauso scheint es Putin zu sehen. Im Übrigen erinnert mich das entfernt an den Nahostkonflikt und die immer wieder auftauchende Aussage, es habe nie eine palästinensische Nation gegeben. Das ist faktisch vollkommen richtig, das sind Araber und sie können nicht einmal die 30 Jahre Staatlichkeit der Ukraine vorweisen. Einige andere nahöstliche Staaten sind ebenfalls nicht wesentlich älter. Und eigentlich meint auch der Bundeswirtschaftsminister, es gäbe kein deutsches Volk. In einer guten Position befindet man sich sicher nicht, wenn solche Äußerungen auftauchen.
Putin sagt allerdings höchstpersönlich, dass seine Ausführungen zu der Nichtexistenz des ukrainischen Volkes unwichtig sind:
Ich sage, dass die Ukrainer ein Teil des einen russischen Volkes sind. Sie sagen: “Nein, wir sind ein separates Volk”. Okay, gut. Wenn sie sich selbst als ein separates Volk betrachten, haben sie das Recht dazu
Und warum genau haben wir uns dann eine halbe Stunde historische Beweisführung anhören müssen, dass sie kein separates Volk sind? Das bleibt im Dunkel, dafür kommt noch ein großes ABER:
nicht auf der Grundlage des Nazismus, der Nazi-Ideologie.
Ach so. Und warum eigentlich nicht?
Er setzt das offenbar als nicht begründungsbedürftig voraus. Westliche Politiker dürften ihm da im Grundsatz vollumfänglich zustimmen. Diesbezüglich sind sie sich alle einig. Sie gehen lediglich nicht davon aus, dass die ukrainische Regierung nationalsozialistisch ist, und mit dieser Einschätzung haben sie selbstverständlich recht. Dass es in der Ukraine – insbesondere auch im Militär – Leute gibt, die mit NS-Devotionalien rumrennen, ist schon zutreffend, und ich habe volles Verständnis dafür, dass einfache Russen vor ihrem Fernseher das für echt halten. Aber doch nicht Putin!
Die Speerspitze befasst sich auch mit seinem Habitus:
Putin agiert zunächst sehr vorsichtig. Er merkt, dass seine historischen Ausführungen Tucker nerven und sein Überreichen irgendwelcher Dokumente von 1654 ist auch eher provokativ als wahrheitsfördernd, aber er wägt seine Antworten ab und erscheint beim Antworten temperiert und diplomatisch. Im Verlauf des Interviews wird er aber stellenweise sehr deutlich, lacht über die von ihm als Dummheit empfundenen Aktionen der westlichen Politik, bezeichnet die Europäer, die er als US-hörig einstuft, als „Kindergarten“ und sagt an einer Stelle, das alles wäre total lustig, wenn es nicht so traurig wäre.
Das ist eine korrekte Beschreibung seiner Haltung. Man könnte auch sagen, dass er im Vergleich zu westlichen Politikern angenehm “erwachsen”, männlich und staatsmännisch überlegen wirkt. Damit spricht er intuitiv schon einen Teil der alternativen Szene an, auch wenn er die Jungs von der Honigwabe damit enttäuscht hat, dass er nicht über den LGBTQ-Kram hergezogen ist. Doch man merkt, dass es intuitiv auch auf sie positiv wirkt, und es hat anfänglich auch bei mir funktioniert – nicht nur Putin, sondern die gesamte russische Nomenklatura tritt so auf.
Es ist auch ohne Zweifel zutreffend, dass der Pulk westlicher Politiker wie ein Haufen dümmlich plappernder Kindergartenkinder auftritt. Und im Vergleich zu den USA ist es fast noch krasser. Ich gehe eigentlich schon davon aus, dass die Demokraten auch einen Kandidaten in ihren Reihen haben, der nicht senil ist. Ich halte diese Auswahl für eine absichtlich symbolhafte Demontage des amerikanischen Präsidenten. Auch die Vorgänger Obama und Trump machen nicht wirklich einen seriösen Eindruck, aber die Symbolwirkung auf das Unterbewusste. die durch diesen schwächlichen, verwirrten Greis ausgelöst wird, kann meines Erachtens nur Vorsatz sein. Darüber hinaus zeigt es natürlich offen, dass dieses Amt ein reiner Schauspielerposten ist, den auch ein Schimpanse oder ein Besenstiel einnehmen könnte, ohne dass irgendetwas anders liefe. Wahrscheinlich würde das auch mit Putin so funktionieren, aber man merkt es ihm nicht an!
Und was die geschichtlichen Betrachtungen angeht: Den weitaus größten Teil der 1100 Jahre Russland, die Putin umrissen hat, gab es übrigens nicht nur keine Ukraine, sondern auch keine USA. Es ist vielleicht sehr spekulativ, aber ich habe darüber nachgedacht, ob eine solche Andeutung nicht beabsichtigt war. Auch Putins “lieber Klaus” Schwab orakelt, dass die USA nach dem Great Reset keine Rolle mehr spielen werden. Er scheint China zu präferieren.
Auf mich wirkt der Habitus Putins ähnlich wie auf die Speerspitze, allerdings mit einem kleinen Twist. Das starke, gelassene und überlegene Auftreten erinnert mich ein bisschen an einen Mafiaboss. Ich meine die grauhaarige Sorte, die meist erst gegen Ende des Films auftritt, in geschmackvollem Ambiente edlen Rotwein kredenzt und im krassen Gegensatz zu den Brutalos, mit denen sich der Protagonist vorher herumschlagen musste, äußerst kultiviert und geradezu sanftmütig plaudert. Zum Beispiel:
Sie sind doch ein gebildeter Mann. Wenn Sie mir 30 Sekunden oder eine Minute schenken, möchte ich Ihnen eine kleine Geschichte erzählen. Rhabarber, Rhabarber, Rhabarber…. und deshalb bin ich der Ansicht, dass das Restaurant, das Sie betreiben, uns gehört. Aber wenn Sie meinen, es würde Ihnen gehören, okay, gut. Das kann ich akzeptieren. Aber nicht auf der Grundlage, dass Sie Anti-Drogen-Plakate an die Wände hängen.
Ein solcher Filmbösewicht kann durchaus sympathisch wirken, vor allem wenn man von der penetranten Gutmenschenmoral des Protagonisten (westliche Politiker) schon dermaßen angekotzt ist, dass man nur hoch hofft, die Brutalos mögen ihn endlich liquidieren – was natürlich nie passiert. Und auch wenn das wahrscheinlich überflüssig ist, möchte ich an dieser Stelle dennoch kurz einfügen, dass ich die Ukraine natürlich nicht für einen rechtschaffenen Restaurantbetreiber halte, der sich tapfer der bösen Mafia widersetzt – und erst recht nicht die USA inkl. Anhang. Die Analogie dient mir ausschließlich dazu, den Habitus von Putin zu beschreiben, sie bezieht sich nicht auf die eigentliche Situation.
Die Speerspitze endet mit dem Fazit:
Wenn Putin mit diesem Interview auch sonst nichts erreichen mag, so hat er doch für jeden, der ihm zuhören will, diese Maske den westlichen Eliten endgültig vom Gesicht gerissen.
Da bin ich mir nicht ganz sicher. Wer ihm zuhören will, sieht die Fratze unter den Masken schon längst sehr viel deutlicher, als Putins subtile Andeutungen sie zeichnen. Und wer diesbezüglich noch ein bisschen Nachhilfe brauchen könnte, lässt sich die ganz bestimmt nicht ausgerechnet vom leibhaftigen Putin geben. Tatsächlich könnte man auch alles, was er über die westlichen Eliten angedeutet hat, als böswillige Verächtlichmachung auffassen, die in Kriegszeiten vollkommen erwartbar ist. Informativ war es nicht, er hat nichts gesagt, was in halbwegs alternativen Kreisen nicht bereits die Spatzen von den Dächern pfeifen, und ansonsten das bekannte russische Narrativ wiedergekäut, das ich vom Anti-Spiegel kenne. Letzteres liegt natürlich daran, dass er ein “Thomasist” ist. Das war einmal die Antwort von Thomas Röper auf die Frage, ob er ein Putinist sei. “Nein”, meinte er, er vertrete ausschließlich seine eigene Meinung und könne nichts dafür, dass Putin zufällig ein Thomasist sei.
Ungeachtet dieser erstaunlichen Enthüllung ist der Anti-Spiegel ohne jeden Zweifel eine wertvolle Informationsquelle – nicht für die Wahrheit an sich, aber zumindest teilweise für die Wahrheit darüber, wie in Russland berichtet wird. Das “teilweise” habe ich nicht eingefügt, weil ich Thomas Röper unterstelle, dass er falsch übersetzt, sondern weil er – naturgemäß – nicht alles übersetzen kann, und bei seiner Auswahl sehr selektiv vorgeht. Anders ausgedrückt: Unverhohlene Drohungen mit Atomkrieg und ordinäre Hetze gegenüber uns lässt er weg und erweckt damit den Eindruck, es gäbe so etwas nicht. In Teil 6 – Die Einkreisung habe ich eine Kostprobe von Dimitri Medwedew (Chef des Russischen Sicherheitsrates) zitiert, der in der Vorstellung schwelgt, wie wir in schmelzendem Beton versinken, und die primitiven Äußerungen des wichtigsten Talkshow-Gastgebers Wladimir Solowjow findet man zuweilen auch im westlichen Mainstream. Seiner Ansicht nach war der größte Fehler von “Genosse Stalin”, dass er Deutschland erlaubt hat, nach dem 2. Weltkrieg weiter zu existieren.
Aber bleiben wir seriös. Thomas Röper hat den Bericht über das Interview übersetzt, der im wöchentlichen Nachrichtenüberblick des russischen Fernsehens ausgestrahlt wurde. Und selbstverständlich ist er im Vergleich zu dem inhaltsleeren Moralgeseiere der westlichen Medienberichte
auf deutlich höherem intellektuellem Niveau. Natürlich kommt Putin gut weg, aber interessant fand ich, dass der Bericht auch auf die Symbolhaftigkeit eingeht, die ich oben angesprochen habe:
Auf CNN, dessen Gesamtzuschauerzahl zur Hauptsendezeit während der zwei Stunden des Putin-Interviews stark gefallen war, wurde über den neuen Bericht des Sonderermittlers Hur berichtet, in dem es heißt, der US-Präsident habe geheime Dokumente illegal in seiner Garage aufbewahrt.
Alles schien noch unter Kontrolle zu sein, doch dann ist Joe Biden aufgewacht und hat alles kaputt gemacht. Verärgert über die Schlussfolgerungen von Hur wetterte er vor der Presse: „Ich bin wohlmeinend. Ich bin ein älterer Mann und ich weiß, was ich tue. Ich war Präsident und habe dieses Land wieder auf die Beine gebracht. Ich brauche seine Empfehlung nicht. Absolut nicht…“
So entstand der für Biden verheerende Kontrast zu Putin, den sie doch vermeiden wollten
Ach ja? Wollten sie das?
Also wenn ich etwas vermeiden will, das sich dermaßen einfach vermeiden lässt, dann passiert das nicht.
und der sicherlich von denen bemerkt wurde, die mit einem Auge das Tucker-Interview und mit dem anderen die Inszenierung des Weißen Hauses verfolgt haben.
Es sieht schon ein bisschen danach aus, als ob CNN das gar nicht vermeiden wollte – aus welchen Gründen auch immer. Man hätte zum Beispiel zeitgleich mit dem Interview einen Bericht über zerbombte ukrainische Häuser zeigen können. Das wäre dann eher ein verheerender Kontrast für Putin als für Biden gewesen.
Auch der gute Olaf wird erwähnt, natürlich als Pudel der Amerikaner, was ja auch eine zutreffende Stellenbeschreibung für einen Bundeskanzler ist, wenn man nicht ganz so tief gräbt, sich auch über die Regierungen der Großmächte Gedanken zu machen. Ganz so tief gräbt man natürlich auch in Russland nicht. Lobende Erwähnung findet Henry Kissinger, der zufällig auch einer der Mentoren von Klaus Schwab und darüber hinaus Chinas Lieblings-Amerikaner war.
An anderer Stelle unterzieht Thomas Röper die Aussagen Putins einem Faktencheck. Zum historischen Teil packt er die berühmt-berüchtigte russische Dampfwalze aus, und ich bin ihr elegant aus dem Weg gegangen. Einmal hat gereicht! Dann bemängelt er, dass westliche Medien allenthalben behaupten, Putin hätte gelogen. Natürlich machen sie sich nicht die Mühe, die angeblichen oder tatsächlichen Lügen konkret zu benennen und auszuführen, warum sie nicht der Wahrheit entsprechen. Dieses Verhalten ist typisch, in Atombomben auf Deutschland habe ich aus einer Pressekonferenz zitiert, bei der dieses Vorgehen von einer patzigen kleinen Orientalin, die der Bundesregierung offenbar als Sprecherin geeignet erscheint, erfrischend offen zugegeben wurde. Es ist abstoßend, denn damit spucken westliche Politiker und Medien ihrem Publikum ins Gesicht und behandeln es wie unmündige Kinder, die man davon abhalten muss “bösen Männern” zuzuhören, weil die “immer lügen”.
Er hat aber schon gelogen. Die ukrainische Regierung ist nicht nationalsozialistisch und ob Russland die NATO angreifen will oder wird, weiß ich nicht. Aber dass eine solche Drohung regelmäßig – auch von hohen Funktionären – ausgesprochen wird, ist wirklich zutreffend. Dass Putin sich verhandlungsbereiter gibt als westliche Politiker, ist hingegen wahr. Ob er es tatsächlich ist oder ob er es einfach nur ohne Gefahr, es umsetzen zu müssen, vorgeben kann, weil er mit Sicherheit davon ausgehen kann, dass seine Gegenspieler schon nein sagen werden, steht auf einem anderen Blatt. Außerdem sind kriegsführende Parteien immer friedensbereit, wenn sie ihre Ziele erreicht haben. Früher oder später wird es ja auch Verhandlungen geben.
Natürlich ist es erbärmlich, dass westliche Politiker sich jetzt nicht darauf einlassen. Sie könnten sie ja immer noch abbrechen, wenn keine Einigung erzielt wird. Dann wären die Forderungen auf dem Tisch. Vielleicht sollen sie das nicht, weil beide Seiten gar keine Forderungen haben, außer dass der Krieg möglichst lang andauert? Doch dass dieses hochbezahlte Gesindel bei der Öffentlichkeit damit durchkommt, zu faul zu sein, das auch nur zu versuchen, ist ein Trauerspiel. So viele Leute haben diese kindisch dumme Haltung angenommen, dass man mit – vermeintlich oder tatsächlich – bösen Staatsmännern nicht reden darf, weil … äh … ich glaube, weil damals Chamberlain mit Hitler geredet hat und seither wie ein Depp dargestellt wird.
Ich erinnere mich noch lebhaft an ein ähnliches Theater, als Jörg Haider in den Irak gereist ist und mit Saddam Hussein gesprochen hat, der damals die Rolle des Weltbösewichts innehatte. Beim Spiegel hat das “Entsetzen” ausgelöst und vom amerikanischen Außenministerium wurde es “als Schlag ins Gesicht der westlichen Welt” bezeichnet. Gut, dass wir mal wieder über unsere Gefühle gesprochen haben. Das ist vor allem für den Teil des Publikums angenehm, der keinen Verstand hat, über den man sprechen kann.
Und entsprechend sind auch jetzt die Reaktionen des westlichen Mainstreams. Sie richten sich vor allem gegen Tucker Carlson, weil er gegen die Kindergarten-Hausordnung verstoßen und Putin “eine Plattform geboten” hat. Das mit der Plattform kommt von der EU – es sind immer die gleichen Textbausteine. Immer geht es darum, die unmündigen Kinder ja nicht mit verbotenem Material in Kontakt kommen zu lassen. Darüber hinaus wird Tucker Carlson zum Beispiel von Fox News vorgeworfen, er habe wie ein eifriger Welpe gewirkt und hätte besser nach Kriegsverbrechen fragen sollen. Auch die Tagesschau bläst in dieses Hörnchen und hat ganz tolle Ideen für viel bessere Fragen:
Für Carlson wäre es gut gewesen, sich besser auf das Interview vorzubereiten und kritische Fragen etwa zu Kriegsverbrechen, zerbombten Städten, Hunderttausenden Toten, gefallenen russischen Soldaten oder Wirtschaftssanktionen nicht einfach auszulassen.
Und warum genau stellen Fox News und die Tagesschau dann Putin all diese Fragen, die sie offenbar für interessant halten, nicht einfach selber?
Ich sehe das anders. Ich halte diese Fragen für absolut nicht interessant. Sie sind sterbenslangweilig und Ihr Informationswert ist absolut null, weil man die Antwort schon vorher kennt. Putin wird kaum sagen, er hielte Kriegsverbrechen für eine großartige Sache. Er wird sagen, es stimme nicht, und falls es zu seltenem Fehlverhalten von einzelnen Soldaten gegenüber Zivilisten käme, würde die Armeeführung das untersuchen und ahnden. Und all das vom Interviewer angesprochene Übel sei die Schuld der “ukrainischen Nazis” und des “kollektiven Westens”, während Russland lediglich seit 2022 bemüht sei, es zu beenden. Das hat er sogar tatsächlich gesagt:
Und wir haben diesen Krieg nicht 2022 begonnen. Dies ist ein Versuch, ihn zu beenden.
Das erinnert an “Krieg ist Frieden” aus 1984, ist aber nicht neu. Auch schon der Erste Weltkrieg wurde als “the war to end all wars” bezeichnet. Tatsächlich führen alle Seiten alle Kriege grundsätzlich immer lediglich dazu, Kriege zu verhindern.
Ein solcher Vorschlag für angeblich bessere Fragen ist jedoch ein Augenöffner dafür, was diese Gestalten unter Journalismus verstehen. Sie geben nicht einmal mehr vor, dass sie durch ein Interview Erkenntnis gewinnen wollen. Sie wollen nur ihre hohe Moral wie eine Monstranz vor sich hertragen und führen sich dabei auf wie ein Großinquisitor, der keinerlei Bestreben verspürt, nach dem Interview eventuell mehr zu wissen als davor. Natürlich hat auch Putin mit seiner Moral geprahlt, aber er war der Interviewte – nicht der Interviewer. Es ist ganz grundsätzlich – auch im Privaten und vor allem in Internetdiskussionen – nicht schlecht, sich bei jeder gestellten Frage zu überlegen: Ist das Ziel dieser Frage Erkenntnisgewinn oder ist es Niedermachen? Ein schönes Beispiel dafür sind auch Talkshows, in denen ein AfD-Politiker zu Gast ist. Er wird fast ausschließlich gefragt, was er zu dieser oder jener Äußerung eines anderen AfD-Politikers sagt, meistens eine von Herrn Höcke. Diese Aussagen fungieren analog zu den Kriegsverbrechen, nach denen die Besserwisser gefragt hätten, wenn sie denn nicht zu feige wären, sich dem Verdacht auszusetzen, Putin “eine Plattform zu bieten”.
Der Kommentator der Tagesschau kommt zu dem Fazit, es wäre das Beste, das Interview einfach zu ignorieren. Ja, das ist in der Tat der sicherste Weg, keinerlei neue Erkenntnisse zu gewinnen. Ich glaube, ich werde hier abbrechen und etwas anderes ignorieren: Den westlichen Mainstream. Die russische Propaganda mag gelogen sein, aber sie hat wenigstens etwas Substanz. Die westliche Propaganda ist einfach nur leer und erschöpft sich in der Warnung, bloß nicht bösen Menschen zuzuhören, weil wir offensichtlich als zu doof erachtet werden, selber zu merken, dass böse Menschen böse sind.
Zum Schluss möchte ich noch auf drei Kleinigkeiten eingehen, die ich für gelogen erachte, wobei es natürlich unmöglich ist, das zu beweisen. Sie klingen einfach unwahr. Die erste ist die Story, wie der junge Wladimir durch die Ukraine gefahren ist, und dort einige alte Männer in komischer Kleidung erblickte. In Wirklichkeit waren es aber Ungarn in ihrer Landestracht, die offenbar Clownskostümen ähnelt, da der kleine Wladimir die Ungarn zunächst irrtümlich für Entertainer gehalten hatte. Und so hat er erstaunt gelernt, dass in der Ukraine nicht nur Ukrainer wohnen. Diese nette persönliche Anekdote, bei der er sein jüngeres KGB-Ich sympathisch als ein bisschen naiv präsentiert, ist die “kindgerechte” Vermittlung seiner historischen Ausführungen, dass es gar kein ukrainisches Volk gibt, sondern dass die Region lediglich eine Ansammlung verschiedener Ethnien ist. Natürlich war ihm klar, dass fast niemand seinen historischen Ausführungen gefolgt ist, geschweige denn, sie sich länger als zehn Sekunden merken konnte oder auch nur wollte.
Die zweite Kleinigkeit folgt dem gleichen Muster einer “kindgerechten” Zusammenfassung seines langen Monologs: Es sind die ukrainischen Soldaten, die rufen “Russen ergeben sich nicht!” Tatsächlich ergeben sich natürlich viele Russen, auch solche mit russischer Staatsbürgerschaft. Bemüht er damit den Todeskult für die einheimische Zuhörerschaft? Wie auch immer – ich würde mein Tafelsilber darauf verwetten, dass die Geschichte frei erfunden ist, sie hat fast die Qualität eines typischen Witzes.
Und drittens: Als Tucker Carlson Putin auf den in Russland inhaftierten Journalisten Evan Gershkovich anspricht – ein russischer Jude mit amerikanischer Staatsbürgerschaft, dem Spionage vorgeworfen wird – weicht Putin aus und kommt auf einen Vorfall in einer europäischen Hauptstadt zu sprechen. Dort hat offenbar ein “Patriot” einen “Banditen” ermordet und sitzt deswegen im Gefängnis. Ja, es ist eigentlich üblich, dass man für einen Mord auch dann ins Gefängnis kommt, wenn das Mordopfer ein Bandit war. Es ist erstaunlich, dass Putin das offenbar nicht so sieht, denn die eigentliche Tat zweifelt er offensichtlich nicht an. Und ich zweifle auch nicht an, dass es sich um eine wahre Begebenheit handelt, obwohl ich die Beteiligten nicht kenne. Ich zweifle nur an der Geschichte dahinter. Putin möchte eigentlich gar nicht darüber reden, tut es aber dann doch:
Ich möchte Ihnen eine Geschichte über eine Person erzählen, die eine Strafe in einem verbündeten Land der USA verbüßt. Diese Person hat aus patriotischen Gefühlen heraus einen Banditen in einer der europäischen Hauptstädte beseitigt. Wissen Sie, was er [der Bandit] während der Ereignisse im Kaukasus getan hat? Ich möchte das nicht sagen, aber ich werde es trotzdem tun. Er hat unsere gefangenen Soldaten auf die Straße gelegt und ist dann mit seinem Auto über ihre Köpfe gefahren. Was ist das für ein Mensch? Kann man ihn überhaupt einen Menschen nennen? Aber es gab einen Patrioten, der ihn in einer der europäischen Hauptstädte beseitigt hat. Ob er das aus eigenem Antrieb getan hat oder nicht, ist eine andere Frage.
Diese andere Frage dürfte ziemlich unmissverständlich damit beantwortet sein, dass Putin es für angebracht gehalten hat, sie anzufügen. Damit hat er ähnlich ungeniert wie der Mossad zugegeben, nach eigenem Ermessen in anderen Ländern Morde in Auftrag zu geben. Wahrscheinlich tun das alle Geheimdienste, aber nur die etwas dreisteren geben es so unverblümt zu.
Es geht mir aber um die scheußliche und etwas exzentrische Mordmethode, die der Bandit angewandt haben soll. Die war mir nämlich bereits bekannt, und zwar aus dem Büchlein Guide for the Bedevilled, das Ben Hecht im Jahr 1944 geschrieben hat. Es ist eine Abhandlung über Deutsche, die – sehr vorsichtig ausgedrückt – nicht gerade schmeichelhaft ist. Genauer gesagt: Es ist grauenhaft, wie er uns darstellt. Zur Untermauerung beschreibt er einige sehr abseitige und meinem Dafürhalten nach auch nicht besonders einfach durchführbare Tötungsmethoden, die damals angeblich von Deutschen angewandt wurden. Quellen gibt er dafür nicht an. So schreibt er auf Seite 149, ein deutscher General in Rumänien habe die “geldsparende” Methode entwickelt, 7.000 Juden auf die Straße zu legen und sie mit Lastwagen zu überfahren.
7.000 Menschen auf der Straße ist eine sehr große Ansammlung. Ich weiß nicht, ob das Teil der Geschichtsschreibung ist, deren Anzweifeln unter Strafe steht, deshalb äußere ich mich nicht dazu, ob ich diese Begebenheit für wahr oder unwahr halte. Aber bei etwas so Abwegigem und im Vergleich zu einer Erschießung auch sehr schwierigen Verfahren kommt mir schon der Verdacht, dass Putin das Büchlein gelesen haben könnte oder zumindest aus der gleichen Quelle schöpft.
Aber das sind – wie gesagt – nur Kleinigkeiten, die mir aufgefallen sind. Im dritten und letzten Teil möchte ich noch etwas mehr auf das größere Bild eingehen, das mir zu diesem Interview einfällt, aber nicht mehr unmittelbar mit ihm zu tun hat.